Leserbriefe

Deutsche Geschichte und Nebelkerzen

Peter Reinhardt, Neckartenzlingen. Zum Leserbrief „Gescheiterte Integration“ vom 22. Juli. Deutsche Geschichte – Hurra! Es ist schon erstaunlich, vielleicht sollte man sagen erschreckend – aber man kann es auch zum Lachen finden –, wie manche Menschen vor allem aus der rechten Ecke mit der Geschichte, besonders der deutschen Geschichte umgehen. Der Grund: entweder keine Ahnung oder bewusste Falschpropaganda als Nebelkerzen vor der Realität. Da tut doch ein solcher neulich in der Zeitung so, als seien die zwölf Jahre der Naziherrschaft mit einem der größten Kriege der Weltgeschichte – mit 60 bis 80 Millionen Toten und einem weit verwüsteten Europa – nur ein zu vernachlässigender Abschnitt in der so herrlichen deutschen Geschichte. Getreu der Parole eines Gauland, der diese Zeit als „Muckenschiss“ zu bewerten sich getraute.

Unglaublich beim Ausmaß dieser realen Katastrophe, die unabweisbar von Deutschland ausging. Wie kann jemand so etwas im Kopf haben? Nur weil jemand ungern daran erinnert werden will?

Und wenn der Leserbriefschreiber neulich auf die stolzen 1200 Jahre glorreiche deutsche Geschichte verweist, um damit die zwölf Jahre Nazizeit klein zu rechnen, so sollte er doch wissen können, dass die deutsche Geschichte keineswegs 1200 Jahre lang glorreich und herrlich war. Abgesehen davon, dass er damit ja Karl den Großen (800 n. Chr.) unbesehen als deutsch vereinnahmt – und nicht zu wissen scheint, dass es um diese Zeit „deutsch“ noch gar nicht gab.

Etwas wie eine deutsche Identität hat sich erst deutlich später ergeben. Und: wer nur etwas Bescheid weiß, der kann wissen, dass unsere Geschichte überaus vielseitig war, mit vielen Höhe- und Tiefpunkten; und dass es so etwas wie ein politisch einheitliches „deutsches Reich“ erst seit Bismarck gibt. Vorher gab es alleweil eine ziemliche Zersplitterung im deutschen Raum.

Diese Geschichtsklitterung erinnert arg an die Geschichtsverdrehung der Nazis, die den Deutschen einreden wollten, Deutschland sei bedeutender, größer und herrlicher als alle anderen Völker. Mehr oder weniger heftig glauben das alle Völker dieser Welt von sich und es ist allemal Unsinn. Die Geschichte ist überall reichlich gemischt gewesen. Alle Völker haben Glanzpunkte und Niederungen. Dazu sollten und kann man doch stehen. Eine Überhöhung der eigenen Geschichte hat noch nirgends zu einem Mehr an Wohlstand und Frieden geführt. Allemal zum Gegenteil. Aber manche glauben so gerne an die eigene Herrlichkeit. Was geht sie die Wirklichkeit an?

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