Leserbriefe

Der Gockel und das Schulsystem

Reinmar Wipper, Nürtingen. Zum Leserbrief „Loblied aufs Schulsystem“ vom 2. Juli. Merkwürdig: Da skizziere ich die Alternative zur frühen Selektion von Schulkindern, Thaddäus Kunzmann liest das nur oberflächlich und hebt an, mich zu lehren, dass der Wert eines Menschen nicht am Schulabschluss hänge. Und wie bedeutsam das berufliche Schulwesen sei.

Guter Mann, alles was recht ist: Ich habe das Schulzentrum auf dem Säer vom ersten Spatenstich an mit aufgebaut, bin der letzte noch aktive Lehrer, der seit 1970 den Vorbehalten gegen unsere Bildungsphilosophie standhalten musste. Die spöttischen Fragen aus dem allgemeinbildenden Schulbereich meiner Heimatstadt, wie man es denn als Gymnasiallehrer im Pudding- und Mistgabelbereich aushalten könne, sind Legende. So etwa eine Fachkollegin: „Was macht denn ein Pianist wie Sie um Gottes willen bei Kindergärtnerinnen?“ So das MPG zu den dort Gestrauchelten: „Ist es ihr bei uns zu schwer, geht sie einfach auf den Säer.“

Solche Witzelchen erreichten mich schon, als der kleine Thaddäus gerade das Wort Schule schreiben lernte. Der fatale Ruf der Hauptschule als Bildungsstufe ohne Image entsteht weder durch Schüler noch durch Lehrer oder Lehrpläne. Er ist Folge der zu frühen Aussonderung! Dadurch werden der wichtigste Impuls und die grundlegende Motivation amputiert, nämlich das Beobachten und Sich-Messen an Gleichaltrigen verschiedener Entwicklungsgeschwindigkeiten.

Diese sogenannte „Peer-Group“ ist die wichtigste Bildungsinstanz für Kinder, nicht die Lehrer oder die Schulart. Die Peer-Group der Zehnjährigen wird bei uns zu früh zerlegt in engere Peer-Groups der Bildungspyramide. Zusammen mit großartigen Kollegen habe ich auf dem Säer jedes Schuljahr Klassen junger Erwachsener aller Bildungsstufen zum Abschluss geführt: Förderbereich, Hauptschule, mittlere Reife, Berufsaufbauschule, Berufskolleg, Fachhochschulreife, fachgebundenes und allgemeines Abitur. Dieser Erfahrung von Gemeinsamkeit und Durchlässigkeit der Ebenen verdanke und schulde ich mein Plädoyer für gemeinsamen Unterricht bis zur Pubertät.

Die CDU will das nicht. Man weiß, warum. Herrn Kunzmanns Bildungspredigt wirkt auf mich, als ob das Ei den Hühnern erklären will, wozu der Gockel taugt. Diesem Missverhältnis wird aber bald abzuhelfen sein, wenn wir dann im Gemeinderat zu Bildung und Schule gemeinsam diskutieren werden. Ich freu mich schon!

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