Leserbriefe

Bürgerbeteiligung nach „Nürtinger Art“

Ernst Lucas, Nürtingen. Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung galten viele Jahre als ein Markenzeichen Nürtingens. Dafür wurde die Stadt von der Bertelsmannstiftung als „bürgerorientierteste Kommune“ Deutschlands ausgezeichnet. Kann sich Nürtingen heute noch daran messen lassen? Gemeinderat und OB haben erneut „fast einstimmig“ entschieden, das sensible Grundstück am Eingang des Waldfriedhofs mit einer Flüchtlingsunterkunft zu bebauen. Dass auch die Braike Flüchtlinge aufnehmen muss, steht außer Frage, strittig ist nur der Standort innerhalb dieses größten Nürtinger Wohngebiets. Nur gegen diesen haben sich in unmittelbarer Demokratie fast 5700 Nürtinger Bürgerinnen und Bürger ausgesprochen. Auch in der Bürgerinformation danach („wir wollen mit den Bürgern direkt reden . . . “) haben sich alle Redner und zweifelsfrei auch die überwältigende Mehrheit der rund 150 anwesenden Nürtinger gegen diesen Standort ausgesprochen.

Der ehemalige Oberbürgermeister Alfred Bachofer hatte in dieser Veranstaltung angeboten, mehrere ihm bekannte, deutlich besser geeignete Standorte zu benennen und hat dafür auch mit OB Heirich ein Gespräch vereinbart. Wie er mir auf Nachfrage erklärte, durfte er in der Öffentlichkeit davon keinen Gebrauch machen, da es sich um „Insiderwissen“ aus seiner Amtszeit handelt. Herr Heirich hatte dieses Angebot angenommen und zu erkennen gegeben, dass vorher kein Beschluss gefasst wird. Auch den Fraktionen des Gemeinderats war bekannt, dass es Alternativen gibt. Völlig überraschend und ohne jede Debatte über mögliche Alternativen haben nun Gemeinderat und OB entschieden, an dem absolut undiskutablen Standort festzuhalten. Natürlich ist die Ablehnung durch Bürgerentscheid formal nicht zustande gekommen, weil das Quorum knapp verfehlt wurde. Dennoch wurde das klare Votum einer sehr großen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern nahezu wortlos vom Tisch gefegt und gar davon gesprochen, dass man sich durch einen Bürgerentscheid „nicht erpressen“ lasse. Erstmals in der Geschichte der Stadt kam ein Bürgerentscheid durch das Engagement von rund 3000 Bürgerinnen und Bürgern zustande.

Wie Gemeinderat und OB diesen Bürgerwillen bewerten, hat der Gemeinderatsbeschluss gezeigt: „Bürgerbeteiligung nach Nürtinger Art“.

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