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Gaza-Gespräche stocken - Streit um israelischen Truppenabzug

Die indirekten Gespräche über eine befristete Waffenruhe im Gaza-Krieg sind ins Stocken geraten. Abdel Kareem Hana/AP/dpa
Das Ausmaß des Rückzugs israelischer Truppen während der angestrebten Feuerpause in Gaza ist ein zentraler Streitpunkt bei den indirekten Gesprächen in Doha. (Archivbild) Saeed Qaq/ZUMA Press Wire/dpa
Tausende Israelis demonstrierten in Tel Aviv und anderen Städten für die Freilassung der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln. Oded Balilty/AP/dpa
Ministerpräsident Netanjahu muss die Begehrlichkeiten seiner ultra-rechten Koalitionspartner berücksichtigen. (Archivbild) Manuel Balce Ceneta/AP/dpa

Die indirekten Gespräche zwischen Israel und der Hamas über eine 60 Tage lange Waffenruhe im Gaza-Krieg sind informierten Kreisen zufolge ins Stocken geraten. Beide Seiten machen sich demnach gegenseitig für den mangelnden Fortschritt verantwortlich. Ziel der Gespräche in der katarischen Hauptstadt Doha ist eine Waffenruhe und die Freilassung von zehn lebenden Geiseln aus der Gewalt der Hamas sowie die Übergabe von Leichen mehrerer Verschleppter. 

Wie die Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Kairo aus Hamas-Kreisen erfuhr, stellt das Ausmaß des israelischen Truppenabzugs aus Gaza während der Feuerpause einen zentralen Streitpunkt dar. Die israelische Delegation in Doha habe diesbezüglich «neue Landkarten» auf den Tisch gelegt, sagte ein Hamas-Vertreter. Israelischen Medienberichten zufolge besteht die israelische Führung darauf, das Militär in einem weitflächigen Areal im Süden des Gazastreifens zu belassen. 

Israels Verteidigungsminister Israel Katz hatte erst zu Wochenbeginn gesagt, dass Israel im südlichen Gazastreifen - auf den Trümmern der Grenzstadt Rafah - eine «humanitäre Stadt» für 600.000 durch den Krieg vertriebene Palästinenser errichten wolle. Kritiker sprechen von einem Internierungslager, mit dem langfristig eine Zwangsdeportation verbunden sein könnte. Israel spricht davon, Palästinensern eine «freiwillige Ausreise» zu ermöglichen.

Für die Hamas ist ein Verbleib israelischer Truppen in einem derart großen Gebiet inakzeptabel. Bei früheren Waffenruhen hatte sich Israels Militär schrittweise aus allen Bevölkerungszentren im abgeriegelten Küstengebieten zurückgezogen. Es verblieb in einer etwa einen Kilometer breiten Pufferzone entlang der Grenzen des Gazastreifens. 

Die Hamas verlangte ursprünglich, dass Israel auch bei der neuen Waffenruhe seine Truppen auf diesen Stand zurückzieht. Ein Hamas-Vertreter sagte der dpa, seine Organisation habe in Doha in dieser Frage «Flexibilität» bewiesen und Bereitschaft zur Akzeptanz eines ausgedehnteren Verbleibs israelischer Streitkräfte in Gaza signalisiert - wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie von Israel gefordert. 

Am späten Samstagabend verdichteten sich Hinweise, dass Israel am Sonntag mit einer veränderten Landkarte zu den Vermittlern in Doha gehen könnte. Dies berichtete der israelische Fernsehsender Channel 12 unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Offiziellen eines anderen Landes. Ob sich damit die Differenzen bei den Verhandlungen überbrücken lassen, war zunächst nicht klar. Als Vermittler fungieren Diplomaten aus Katar, Ägypten und den USA. 

Israel hatte der Hamas zuvor vorgeworfen, durch ihre «kompromisslose Haltung» die Gespräche in Doha zu «sabotieren», zitierte die israelische Zeitung «Jediot Achronot» einen israelischen Offiziellen. «Israel zeigte Bereitschaft zu Flexibilität, während die Hamas (...) in Positionen verharrt, die es den Vermittlern nicht erlauben, zu einem Abkommen zu gelangen», sagte der Beamte dem Blatt zufolge. Die Verhandlungen würden aber weitergeführt, fügte er hinzu. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben beider Konfliktparteien ist derzeit nicht möglich. 

Tausende Menschen demonstrierten unterdessen in Tel Aviv und anderen israelischen Städten für die Freilassung aller Geiseln, die die Hamas im Gazastreifen festhält. «Das Zeitfenster, um alle 50 Geiseln, die Lebenden und die Toten, nach Hause zu bringen, ist jetzt offen - aber nicht mehr lange», sagte Eli Scharabi als Redner auf der zentralen Kundgebung in Tel Aviv einem Bericht der Zeitung «Haaretz» zufolge. 

Scharabi (53) war selbst 16 Monate lang Geisel in den Tunneln der Hamas in Gaza. Nach seiner Freilassung Anfang Februar dieses Jahres musste er erfahren, dass seine Frau und seine beiden kleinen Töchter beim Massaker der Terroristen aus dem Gazastreifen am 7. Oktober 2023 ermordet wurden. Die Familie hatte im Kibbuz Beeri gewohnt, nahe der Gaza-Grenze im Süden Israels. Der Leichnam seines entführten Bruders Jossi wird noch in Gaza festgehalten. 

An Israels Regierungspolitiker gewandt, sagte Scharabi in seiner Ansprache: «Ihr wurdet gewählt, um diesem Volk zu dienen. Mit Demut, mit Bescheidenheit. Es war Arroganz, die das Unheil über uns brachte - und wir dürfen nicht mehr zu diesem Verhaltensmuster zurückkehren.»

Nach offiziellen israelischen Angaben werden noch 50 aus Israel entführte Menschen im Gazastreifen festgehalten, davon sollen mindestens 20 noch am Leben sein. Die Proteste richteten sich gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, weil diese aus Sicht der Demonstranten den Prozess der Geiselfreilassung in die Länge zieht. 

Erst im Laufe der angestrebten 60-tägigen Feuerpause sollen die Seiten über eine dauerhafte Einstellung der Kampfhandlungen und die Freilassung der letzten Geiseln verhandeln. Eine Aussicht auf Freilassung haben diese nur, wenn es dabei zu einer Einigung kommt.

Kritiker werfen Netanjahu vor, ein Kriegsende hinauszuzögern und so sein eigenes politisches Überleben sichern zu wollen. Seine Regierungskoalition schließt rechtsextreme und ultra-religiöse Parteien ein, die eine militärische Besatzung des Gazastreifens fordern, um dort israelische Siedlungen zu errichten.

Israel setzte derweil seine Angriffe gegen Stellungen, Bunker, Tunnel und Waffenlager der Hamas an mehreren Stellen des Gazastreifens mit großer Intensität fort. Allein im nördlichen Grenzort Beit Hanun bombardierten Dutzende Kampfjets 35 «Terrorziele» der Islamisten, wie es in einer Mitteilung der israelischen Armee hieß. 

Seit Samstagmorgen seien mindestens 129 Palästinenser bei israelischen Angriffen getötet worden, berichtete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa am späten Samstag unter Berufung auf die Krankenhäuser in Gaza. 33 Menschen seien beim Versuch, an humanitäre Hilfe zu gelangen, ums Leben gekommen. Auch diese Angaben, die nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheiden, ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Das israelische Militär bestritt in einer früheren Mitteilung, dass seine Soldaten auf Hilfesuchende geschossen hätten.

© dpa-infocom, dpa:250712-930-790937/1

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