Weihnachtsgrüße

Atemberaubende Reisemomente

Für Yannick Forschner beginnt das neue Jahr in Neuseeland früher als normalerweise – Mit einem Zwischenstopp in Thailand ging’s los

Ich kneife meine Augen zusammen. Auf dem goldgelben Chedi vor mir spiegelt sich die Mittagssonne über Chiang Mai. Es ist heiß, auch wenn die Mauern der alten Tempelanlage von Wat Phra That Doi Suthep ein wenig Schatten spenden. Ich spüre die warmen Bodenplatten unter meinen nackten Füßen, meine Schuhe stehen am Eingang, wie es in buddhistischen Tempel üblich ist. Rechts neben dem Chedi, etwas weiter hinten abseits des Zentrums, ragt die rund drei Meter hohe Buddha-Statue in den azurblauen Himmel auf und lächelt mit losgelöstem Blick auf die Menschen herab, die sich in Scharen an deren Füßen tummeln. In der Menge erblicke ich Thai, die ehrfürchtig, ganz abgekapselt vom restlichen Trubel, ihren Gebeten nachgehen, Touristen, die für ein Selfie posieren und im Hintergrund einen in Orange gehüllten jungen Mönch, der auf seinem Smartphone scrollt. Ich lächle zurück. Es sind nun schon fünf Tage vergangen, als ich das erste Mal das Land des Lächelns betreten habe. Fünf Tage, in denen mir das entfernte Thailand einen Schritt näher gekommen ist. Meine eigentliche Reise nach Neuseeland, hin zum anderen Ende der Welt, beginnt mit einem Stop-over in Bangkok, der Stadt der Engel. Schwüle und heiße Luft schlägt mir entgegen, nachdem sich die Türen des Flughafens automatisch geöffnet haben. Als ich auf der Fahrt in Richtung City Center durch das leicht abgedunkelte Fensterglas meinen Blick auf die urbane Stadt- landschaft richte, kann ich die Ausdehnung der Millionenmetropole nur erahnen. Wolkenkratzer und Luxustempel stehen Seite an Seite mit einstöckigen Wellblechbaracken, aus deren Meer ein riesiges überdimensioniertes Werbeplakat für ein neues Smartphone emporragt. Im Zentrum der Stadt angekommen, begebe ich mich auf meine erste Erkundungstour durch die lauten Straßen, verstopft vom täglichen Verkehr aus Autos, Tuk Tuks und Rollern, die sich durch jede noch so kleine Lücke ihren Weg bahnen. Trotz der nicht auszuhaltenden Hitze spüre ich, wie die Stadt pulsiert. Inmitten von Hektik, Lärm und Verkehrschaos finden sich Reste alter thailändischer und damit verwobener buddhistischer Kultur wie Tempel, Monumente und Paläste von atemberaubender Schönheit, die es für kurze Zeit vermögen, mich in eine andere Welt zu entführen. Abseits der ausgetrampelten Touristenpfade habe ich manchmal noch das Gefühl dem wirklichen Bangkok ganz nah zu sein, aber es bleibt Zeit meines Aufenthalts nur ein Gefühl. So vertraut mir das westliche Bangkok in manchen Dingen erst erscheint, so unwirklich bleibt es mir in Erinnerung. Menschen, die jeden Tag aufs Neue um ihr Überleben kämpfen, stehen riesige Shopping Malls mit Läden voller Luxusmarken gegenüber. In den grünbraunen Nebenarmen des Chao Phraya sammelt sich der Plastikmüll, weit und breit sehe ich keinen Mülleimer. Trotz dieser Extreme beeindruckt mich diese Stadt zutiefst. Es ist das Lebensge-fühl in dieser Stadt, die Lebensart ihrer Bewohner, die fasziniert. Man kann nur schwer mit Worten greifen, was diese Stadt ausmacht, man muss es fühlen, man muss es leben.

Bevor ich jedoch nach Sydney fliege, um von dort nach Neuseeland weiterzureisen, begebe ich mich in den Norden von Thailand, genauer gesagt in die Stadt Chiang Mai. Trotz ihrer mehr als hunderttausend Einwohner erscheint mir die Stadt am Rande des Dschungels im Vergleich zu Bangkok als gepflegte Kleinstadt. Ein kleiner künstlich angelegter Fluss umschließt die rechteckige Altstadt und die letzten erhaltenen Teile der ehemaligen Befestigungsanlage. Ich miete mir ein Fahrrad und erkunde die Umgebung. Surreal wirken die Plastikweihnachtsbäume in der Sommerhitze in den Schaufenstern auf mich, machen sie mir doch klar, dass ich dieses Jahr erstmals Weihnachten weit von daheim entfernt verbringen werde.

Auch das neue Jahr wird für mich früher als gewohnt beginnen, wenn auch nur um einige Stunden. Weihnachten wie Silvester werde ich in Neuseeland verbringen – wo, das weiß ich noch nicht. Unsicherheit kommt auf, die sich mit Freude mischt. Die Temperatur bleibt während meinem Aufenthalt in Chiang Mai durch die hohen umliegenden Berge auf einem erträglichen Niveau, weshalb ich mich schließlich dazu entscheide, mit dem Fahrrad den Tempelberg zu erklimmen. Am Fuß des Berges angekommen, nehme ich das goldene Funkeln schon von Weitem wahr, das hoch über meinem Kopf in der Vormittagssonne aufblitzt. Auf dem anstrengenden, steilen Weg nach oben, zum Tempel, höre ich meinen Atem, mein Ringen nach Luft. Ich blicke nach rechts und links in die tropische Bergbewaldung und erinnere mich an meine vergangene Dschungelwanderung und meine Ehrfurcht vor den Ureinwohnern, die dort noch immer zum größten Teil im Einklang mit der Natur leben. Ich schiebe meine Gedanken beiseite und drücke mich durch die Touristenmasse an der Statue vorbei. Als ich auf die Terrasse des Tempels, hoch oben auf dem Berg, trete, breitet sich unter mir die Stadt Chiang Mai in ihrer ganzen Größe aus. Mir stockt der Atem. Es ist der Lohn für meinen beschwerlichen Aufstieg, ein Vorgeschmack auf das, was da kommen wird. Ich halte inne, suche für einen kurzen Moment meine Ruhe und versuche zu verstehen, was man erst so oft im Nachhinein begreift: Das Leben besteht nicht aus denjenigen Momenten, in denen wir atmen. Es sind die Momente, die uns den Atem rauben.

Yannick Forschner

Zur Startseite