Leserbriefe

Versöhnung

Professor Dr. Dominique Soulas de Russel, Nürtingen. Zum Artikel Papst bringt Juden gegen sich auf vom 22. März. Zwei überzogene Verweise, die jüngst in der Zeitung wiedergegeben worden sind, bringen mich dazu, ein kleines Zeichen setzen zu wollen. Der erste kam vor ein paar Wochen aus Berlin. Der DB-Chef wurde von einem der Organisatoren einer fahrenden Ausstellung über die KZ-Transporte als potentieller Befürworter derselben bezeichnet. Der Bahnverantwortliche stellte nämlich eine Gebühr zur Nutzung seines Schienennetzes wegen der dadurch anfallenden Kosten zur Rechnung. Es ist seine Pflicht als Angestellter einer bedauerlicherweise privatisierten, das heißt kommerziellen Einrichtung, auch wenn die Einhaltung dieses Prinzips im vorhandenen Fall schon als fragwürdig erscheinen mag. Die Reaktion bleibt nichtsdestoweniger gänzlich unangemessen.

Der Anlass des zweiten Verweises war römisch. Papst Benedikt wiederholte die Karfreitagsfürbitte, dass für die Juden gebetet werden sollte, damit sie Jesus Christus anerkennen. Für die größtmögliche Verbreitung seines Glaubens zu handeln ist nun mal der Job des Oberhirten. Wie seine Vorgänger fördert auch er die Annahme der Überzeugungen seiner Kirche in allen gotteserschaffenen Himmels- und Religionsrichtungen. Selbstverständlich stören solche missionarischen Aufrufe die dafür erwähnten Objekte seines Tuns. Mit Recht darf sich auch jede Glaubensgemeinschaft öffentlichkeitswirksam gegen diese wehren und ihre entgegengesetzte Meinung kundgeben. Die evangelischen Kirchen unter anderem haben es die letzten Jahre wiederholt demonstriert.

Dafür kann theologisch sowie im Namen des religiösen Miteinanderlebens argumentiert werden. Das tut auch die große Mehrheit der Rabbiner nach der oben genannten Fürbitte. Aber der vom Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden hinzugefügte Hinweis auf die deutsche Staatsbürgerschaft des jetzigen Heiligen Vaters als Dämpfer seines Wirkens ist deplatziert und, kurz nach der spektakulären Israel-Versöhnungsreise der Kanzlerin, doch bedauerlich. Ist nicht die Zeit einer wirklichen Normalisierung der jüdisch-deutschen Beziehungen gekommen (und das schreiben die Enkelin eines KZ-Häftlings von Sachsenhausen mit dem Sohn eines von 1940 bis 1945 hier Gefangenen und Patenkind eines Résistance-Kämpfers), die mahnendes Gedächtnis mit Würde beziehungsweise partnerschaftlichem Respekt endlich vereinbart?

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