Leserbriefe

Thilo Sarrazin und NS-Gedanken

Peter Reinhardt, Neckartenzlingen. Zum Leserbrief „Die Parteien und die Kritik an Sarrazin“ vom 7. September. Es ist sicher kein Wunder, dass Herr Deuschle von den Rechten die Thesen von Herrn Sarrazin lobt. Zu dem Buch von Sarrazin gibt es Verschiedenes zu sagen; es ist nach dem, was man hört, ziemlich dick. Nur zu zwei Dingen möchte ich Stellung beziehen: Es ist schlimm, wenn er einen Gedanken wieder aufnimmt, der in der Nazizeit sehr gepflegt und weit verbreitet wurde; nämlich die Rechnung, dass die weniger wertvollen Menschen – bei ihm sind es die Muslime, damals waren es die Erbkranken und die Asozialen – in Deutschland bald die Mehrheit bilden würden, weil sie mehr Kinder hätten als die höherwertigen Deutschen.

Die Rechnung ist inhuman und obendrein falsch; denn die Grundannahme, die vielen Kinder, stimmt auf Dauer gesehen nicht. Damals enthielten alle Schulbücher solche Berechnungen, oft mit den entsprechenden Bildern illustriert. Bei den Nazis führte das mit der ihnen eigenen logischen Konsequenz zum Begriff des „unwerten Lebens“, und danach zu Grafeneck.

Wer solche Grundgedanken heute wieder aufwärmt, der gehört nicht verboten oder gar bestraft, der gehört verachtet oder geächtet. Zum anderen stammt auch der Gedanke, dass der wertvolle, der intelligente Teil der deutschen Bevölkerung zu wenig Kinder bekommt und damit auf Dauer eine Verdummung Deutschlands zu erwarten ist, ebenfalls aus unseligen Zeiten – und führte damals zur Idee einer Züchtung edler Deutscher in eigenen (Zucht-)Anstalten, in denen reinrassige Frauen von ausgesuchten SS-Männern so lange begattet wurden, bis sie schwanger wurden. Und ist Sarrazin weit davon entfernt, wenn er vorschlägt, studierte Mütter sollten für ein jedes Kind, das sie zur Welt bringen, 50 000 Euro vom Staat bekommen? Kennen wir nicht alle Kinder aus gutem Hause, die keineswegs so gescheit sind wie ihre Eltern? Kennen wir nicht aus dem Erleben und aus der Geschichte viele hochgeachtete Menschen, deren Elternhaus keineswegs ein Garant für ihren Aufstieg war? In der Wissenschaft ist es eigentlich durch, dass das Auftreten von Intelligenz nicht so einfach zu erklären ist. Seine Ansicht ist in dieser Hinsicht einfach ärgerlich uninformiert.

Es ist sicher so, dass es in unserer Gesellschaft einen Bodensatz von Menschen gibt, die, aus welchem Grunde auch immer, nicht für die Gesellschaft produktiv tätig sind. Das hat es in allen Zeiten gegeben und war zu allen Zeiten ein Problem, das offensichtlich nie gründlich zu lösen ist. Wenn diese Erscheinung bei bestimmten Bevölkerungsgruppen überproportional auftritt, muss darüber nachgedacht werden. Klar. Aber es wäre nicht uninteressant, mal zuzuhören und zu veröffentlichen, was diese Menschen zu erzählen haben. Wie oft und in welcher Weise sie von der Mehrheitsbevölkerung, von guten Deutschen, recht übel angesprochen und behandelt wurden – zutiefst entmutigend und frustrierend. Eine Sammlung solcher Aussprüche wäre für uns Deutsche recht unangenehm. Die Betroffenen wollen es in der Regel – aus begreiflichen Gründen – lieber nicht.

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