Nürtingen

Sehnsucht nach nationaler Stärke

Helmut Weber, Aichtal-Neuenhaus. Zum Artikel „Enges Rennen bei Wahlen in der Türkei“ vom 15. Mai.

Sie wählen eine Stärke, eine vermeintliche, die keine war und keine ist – ähnlich den Briten. Eine Vielzahl Türken wählen die Demokratie ab, ihre und die weltoffene und freiheitliche Zukunft ihrer Kinder und Enkel, weil sie in irgendeinem Hilfsanachronismus gefangen sind und von einer türkischen Nation träumen, in der die Welt den Segen der Türken erfährt – eigentlich ein Fall für Sigmund Freud. Für diese Art Wundpuder oder Nationalismus, der auf Unterwerfung anstatt auf Übereinkunft ausgerichtet ist, haben die AKP, R. T. Erdogan und andere die richtigen Indikationen. Eine merkwürdige Sehnsucht nach nationaler Stärke – eigentlich nach der spürbaren Gemeinschaft von Menschen, führt zurzeit Nationen in Vergangenheiten zurück, die ihnen wissentlich letztlich Leid brachten. Es sind die wachsenden Egoismen der Bürger, die Gesellschaften aushöhlen und so hilfloser nach dem Schutz einer Autorität drängen lassen, die einen Burgfrieden sichern sollen, den es eigentlich nie gab, der so nur aus den Abgründen von parteiischen Demagogen angeboten wird.

So gefährlich Religionen waren, sind und sein werden – sie, nur sie, waren immer in der Lage, Gemeinschaft dauerhaft zu schließen. Ihr Missbrauch, ihr Zerfall lässt Menschen nach einem Frieden suchen, den es in der Politik nicht gibt, sondern nur in der rechtsstaatlichen Übereinkunft von Staat und Gesellschaft. Diese Erkenntnis wird mehrheitlich dort schmerzvoll sein, wo neutrale beziehungsweise sachliche Lehrfähigkeiten von Führung ausbleibt.

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