Leserbriefe

Mit Augenmaß und Disziplin

Reinmar Wipper, NT-Roßdorf. Im Oktober 2016 haben Kardinal Marx und Bischof Bedford-Strohm ihre Bischofskreuze von der Brust abgehängt, damit sie mit jüdischen und muslimischen Gastgebern im Jerusalemer Felsendom auftreten konnten. Im Nachhinein haben sie diesen Skandal demütig bedauert. Heute kuschen beide Kirchen vor der unüberlegten Ansage, keine Gottesdienste mehr anzubieten, um dem Virus keine Arena anzubieten. In den Gottesdiensten beider Konfessionen sind seit Langem nicht mehr als ein paar Handvoll Menschen anwesend. Ich weiß das, weil ich jede Woche mehrfach im Gottesdienst die Orgel spiele. Dieser seit Langem bedauerte Schwund nimmt die Anordnung der Behörde fast vorweg. Zu Ostern, dem höchsten Fest der Christenheit, ohne das es keine Christenheit gäbe, war das Verbot eine enorme Zumutung für die Glaubenden. Dennoch fielen die Kirchenoberen elastisch auf die Knie. Man will halt am Ende nicht auf dem Schwarzen Peter sitzen bleiben und hat eilfertig eingelenkt. Indessen rührt sich bereits das Gewissen, formiert sich Widerstand.

Beliebig viele Menschen dürfen ungeschützt durch die Baumärkte stiefeln. Im Vergleich von Heimwerken und Kirchgang sucht man vergeblich die Verhältnismäßigkeit. Ich hoffe nicht, dass die Kirchenoberen einmal mehr ihren vorauseilenden Gehorsam bedauern müssen, weil sie zu schnell in Deckung gegangen sind. Die Anordnung des Staates zur Kontaktreduzierung ist weniger vom Grundgesetz gedeckt als von Unsicherheit und Panik diktiert. Genauso, wie man von Staats wegen nichts vom Mundschutz hält, weil man halt keinen kaufen kann – es sei denn, man bezahlt schamlose Wucherpreise.

Die Kirchenräume sind offen. Wer dort beten, sich sammeln und zur Ruhe kommen will, der muss das tun dürfen. Auch wenn ein Priester gleichzeitig still die Messe liest. Das gelingt mit Augenmaß und Disziplin, wie eine Berliner Gemeinde vormacht. Coronas größter Erfolg wäre es nämlich, wenn Denken und Logik sich heiß gestrickten Notverordnungen beugen würden.

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