Leserbriefe

Illoyal gegenüber Merz

Herbert Ruff, Oberboihingen. Zum Artikel „Der Dann doch noch Kanzler“ vom 3. Mai.

„Der Dann doch noch Kanzler“ kommt ziemlich belehrend daher, ohne dem eigentlichen Problem auf den Grund zu gehen. Das eigentliche Problem ist, wie die designierte Familienministerin, Karin Prien, CDU, zitiert wird: „Wer so etwas macht, hat nicht verstanden, worum es geht“. Worum ging es also? Nach der Bundestagswahl 2025 war die einzige vernünftige Option, eine Koalition zwischen CDU und SPD zu bilden. Deshalb haben die beiden Parteien wochenlang verhandelt und das Ergebnis in einem über 250-seitigen Koalitionsvertrag niedergeschrieben. Diesem Vertrag haben beide Fraktionen einstimmig zugestimmt, wohl wissend, dass ein Kanzler Merz die Regierung führen sollte, dessen politische Aussagen, die er kurz vor der Wahl gemacht hat, kontrovers im Raum standen. Das Problem ist, dass sich einzelne Abgeordnete nicht getraut haben, ihren Fraktionen ihre ablehnende Haltung mitzuteilen. Sie ließen also ihre Fraktionsführungen ins „offene Messer“ laufen. Man nennt so etwas Feige, noch schlimmer: Illoyal. Möglicherweise wollte der eine oder andere Abgeordnete nur einen kleinen Denkzettel verpassen, dann hätte der Kanzlerkandidat halt ein paar Stimmen weniger, aber ohne weitere Folgen. Da aber offensichtlich mehrere Abgeordnete so gedacht haben, ohne voneinander zu wissen, lief die Abstimmung dann leider, wohl auch unbeabsichtigt und somit unkontrolliert aus dem Ruder, weil es ein paar Nein-Stimmen zu viel wurden. Dies nun dem zukünftigen Kanzler anzukreiden, wie der oben genannte Artikel suggeriert, ist definitiv falsch, denn es ist eine unbedachte parteipolitische „Täter-Opfer Umkehr“. Dies sage ich, ohne dass ich weder der einen noch der anderen Partei zuneige. Mir geht es um den Zusammenhalt von „Staat und Gesellschaft“, wie es der Staatsrechtler, Theodor Eschenburg, in seinem Standardwerk gelehrt hat.

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