Leserbriefe

Förderung muss im Kindergarten starten

Dora Gerwig, NT-Oberensingen. Zum Artikel „Südwesten Schlusslicht bei Chancengleichheit an Schulen“ vom 13. März. Chancengleichheit in der Schule durch Zugang zum Gymnasium für möglichst viele – was für ein Schwachsinn! Auch durch Wiederholung wird die These nicht richtiger, zumal sie im selben Artikel widerlegt wird. Ich zitiere: 50,3 Prozent der jungen Erwachsenen in Baden-Württemberg haben Zugang zu Hochschulen – mehr als in anderen Bundesländern. Mindestens ein Drittel davon hat diesen Zugang durch andere Bildungskarrieren als über das „normale“ Gymnasium geschafft, und es sind viele ehemalige Hauptschüler darunter.

Das Bildungsangebot in Baden-Württemberg ist breit und nach oben durchlässig, und man verunsichert die Eltern, ja, man informiert sie falsch, wenn man den Eindruck erweckt, dass jeder, der eine gute Ausbildung genießen will, das nur über das Gymnasium erreichen kann, ganz gleich ob nach der vierten oder der sechsten Klasse. In diesem Alter sind manche Kinder wirklich noch nicht reif genug; sie brauchen mehr Zeit für ihre Entwicklung.

Mehr naturwissenschaftlich begabte Kinder tun sich auch schwer mit den geforderten zwei Fremdsprachen. Übrigens diskriminiert man durch diese Darstellung alle anderen hervorragenden Bildungsabschlüsse in unserem Land, die anderswo (so in Schweden, Frankreich et cetera) mit dem Etikett „Abitur“ versehen werden, wie zum Beispiel alle Abschlüsse in unserem im Ausland sehr angesehenen dualen Ausbildungssystem (will heißen alle Facharbeiter).

Wer wirklich mehr Chancengleichheit für Kinder aus „bildungsfernen“ Schichten erreichen möchte, muss massiv in die Kleinkindbetreuung investieren. Diesen Kindern muss man vorlesen, man muss mit ihnen singen, Bilderbücher besprechen, sie feinmotorisch fördern, ihnen Bewegung verschaffen, man muss sie ihr Umfeld aktiv entdecken lassen, ja, ihnen auch Grenzen setzen und Rücksichtnahme und Durchhaltevermögen nahebringen – alles Dinge, die sie zu Hause nicht vermittelt bekommen. Deshalb ist die „Herdprämie“ so kontraproduktiv, weil vermutlich gerade diese bildungsfernen Familien sie vermehrt in Anspruch nehmen werden. Dadurch wird die Kluft zwischen ihren und den „bildungsnahen“ Kindern erst recht zementiert. Der Versuch, diese Unterschiede in der Sekundarstufe, bei pubertierenden Jugendlichen, durch auch noch so gut ausgebildete Lehrer auszugleichen, wird nicht gelingen.

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