Leserbriefe

Eine Krankheit unserer Zeit

Peter Reinhardt, Neckartenzlingen.

Überall diese Klagerei! Uns geht es im Verhältnis zur übrigen Welt immer noch arg gut. Aber es gibt – ohne Frage – einige Dinge, die nicht gut laufen. Im Augenblick wird viel über die „Bürokratie“ geklagt. Sicher zu Recht. Überall, ob in Geschäften, Behörden oder im Gesundheitswesen: alles erfordert recht viel Verwaltungsarbeit; wenn ein Großteil der Arbeitszeit darauf verwendet werden muss, Formulare oder Statistiken auszufüllen oder Bestimmungen zu erforschen und zu erfüllen – dann fehlt diese Zeit natürlich für die eigentliche Arbeit.

Und dann klagt man lauthals über den „Fachkräftemangel“ – und fordert: mehr Personal! Denn es ist wohl so, dass es zum Beispiel einer Krankenschwester nicht viel Spaß macht, am PC zu hocken; die Gründe für ihre Berufswahl waren andere. In anderen Berufen ist es wohl oft ähnlich.

Vielleicht muss man sich mal Gedanken machen, warum es zu dieser Bürokratisierung gekommen ist. Ich meine: der Grund liegt auf der Hand: sowie mal etwas schief- geht – und immer geht mal etwas schief –, schreien die Öffentlichkeit, die Medien und die Politik nach Maßnahmen, die diesen Fehler verhindern sollen. Und allen fällt nichts Besseres ein als: weitere Bestimmungen und mehr Personal. Was denn sonst? Ohne zu bedenken, dass genau das zu der beklagten Misere führt: Bürokratie und Personalmangel. Wenn zum Beispiel alle Krankenschwestern maximal zehn Prozent ihrer Arbeitszeit am PC verbringen müssten, das gäbe eine enorme Entlastung.

Aber genau das will die Öffentlichkeit nicht, weil sie sicher sein will, dass nichts schiefgeht – und dafür Verbesserungen fordert. Das kann im Endeffekt nicht aufgehen.

Da muss im Denken der Menschen etwas anders werden: zum einen: mehr Fehlertoleranz – es hat immer Fehler gegeben und wird sie immer geben. Und zum anderen – etwas ganz Unmodernes: mehr Moralbewusstsein. Es sieht doch so aus, als ob es sich in unserer Gesellschaft immer mehr ausbreitet, dass nur das eigene Ich zählt. Das fängt mit dem Umgehen der Mehrwertsteuer an und endet damit, dass „Ich“, wenn ich mich ärgere, Polizisten oder Sanitäter et cetera nicht nur beschimpfen darf, sondern auch mit Steinen oder – jüngstens – mit Böllern aller Art gefährden darf. Strengere Gesetze werden da nur mäßig helfen. Mehr Verantwortungsgefühl für das Ganze ist nötig. Aber wie fördert man das? Sicher nicht mit mehr Verordnungen und mehr Überwachung. Aber wie dann? Ich meine: da könnten/müssten Schule und Medien mehr helfen. Aber das ist arg unmodern und schwer zu verwirklichen.

Hoffnungslose Lage? Ich hoffe: Nein! Ich habe immer gelernt und gelehrt, dass die Demokratie die Staatsform ist, in der positive Änderungen möglich sind – im Gegensatz zu Diktaturen.

Zur Startseite