Leserbriefe

Das Wahljahr und der Vergleich mit Amerika

Helmut Weber, Aichtal-Neuenhaus. Zum Artikel „Seehofer: ,Bayern zuerst‘ – aber bitte mit Merkel“ vom 2. März. Was unterscheidet einen Amerikaner auf jüngst absolvierter Präsidenten-Wahltour von einem deutschen Prüfungskandidaten zwecks solcher Amtstauglichkeit: Mitteleuropäer wählen die Klinge – nicht den Knüppel.

Ein deutscher Bewerber übt zuvorderst die Attacke auf Mitbewerber bei Zurückhaltung. Das Schmäh-Thema darf nicht auf den Verursacher zurückweisen, damit sich Veröffentlichtes nicht zur billigen Unterstellung kontrapunktet und ein Fremdgewicht behält. Der Gegner lässt dabei Gerüchte, vielleicht, wenn er Glück hat, auch Nano-Verstöße des Kontrahenten medial gezoomt streuen. Parteifreunde ermöglichen alles – EU-weit.

Ist der Zweifel in den Wähler-Köpfen erst mal angestoßen, wird im nächsten Zug ein völlig neutrales Gremium (amtlich oder scheinamtlich) mit Vorwürfen bedient, die den Mitbewerber dann schon richtig am Image kratzen können – auch noch (als Halleffekt), wenn sich (möglichst viel später) herausstellen sollte, dass alles nur Luft oder das Pulver nicht wert war. In Wählerköpfen kriecht der Kratzer am Bewerber wunschgemäß in die Schublade Verunsicherung. Unter Wahljahr-Informationsflut begraben, erinnert sich Bürger aber irgendwann nicht mehr an Einzelheiten – nur noch: „da war doch was“ – und dieses Zwischenergebnis hat seine unerkannte Humuszeit.

Mit endläufiger Wahlperiode werden via Brustton des Angreifers weitere Blutströme generiert, jetzt deckungsloser und Feindvernichtung gürtelnah oder grenzübergreifend ihrem Höhepunkt entgegengetrieben. Nach der Stimmungsbereitung durch Claqueure ist es nun an der Zeit, mit eigenen Fähigkeiten selbst bühnenreif zu werben. Der geschundene Gegner erhält den fremden Mittelfinger leibhaftig vor die Nase geführt.

Eine Argumentekreation der hauseigenen Texter des Platzgreifers soll den Gegenkandidaten auf seine wahre Größe reduzieren. Notfalls übt der Angreifer den endgültigen Platzverweis auch per septischer Klinge, also mit richtigen Fakten, die aber bei Licht besehen den verborgenen Keim verlieren – doch dann ist es bereits zu spät. Als vereinfachte Beispiele: der Gegner musste (verschmutzungsbedingt) einen neuen Führerschein beantragen oder er schlug seine Ehefrau nachweislich (während eines Hustenanfalls beim Essen) mehrfach in den Rücken. Überhaupt lässt sich mit Fakten ohne Zusammenhang immer punkten, ja zaubern – ein wunderbares Mittel, sich zu behaupten.

Wer jetzt als Wähler noch den Durchblick hat, hatte ihn nie oder ist parteipolitisch so gerichtet, dass er für Gehirnwäsche immun ist oder schlimmer: er kann denken. Was für ein Unterschied zu amerikanischen Verhältnissen!

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