Leserbriefe

Das Opfer und das Urteil

Igor Krstic, Nürtingen. Zum Artikel Tödliches Ende einer Freundschaft vom 7. März). Als Angehöriger des Unfallopfers war ich vom schrecklichen Tod meines Bruders bei einem Autounfall, der sich in den frühen Morgenstunden des 1. Mai 2007 zugetragen hat, schwer betroffen und bin es auch heute noch. Meine Familie wird noch jahrelang mit den Folgen dieses traumatischen Ereignisses leben müssen.

Umso ernüchternder und teilweise auch schockierend war für meine Familie und mich die Gerichtsverhandlung im Amtsgericht Nürtingen. Als Zeuge musste ich dort unter anderem darüber aussagen, wie das Verhältnis zwischen dem Angeklagten (der das Auto mit tödlicher Konsequenz in einen Baum fuhr) und meinem Bruder (der auf dem Nebensitz saß) war.

Da ich in einem recht engen Verhältnis zu meinem Bruder stand, wusste ich aus diversen Gründen, dass der Angeklagte nicht zum engeren Bekanntenkreis meines Bruders gehörte. Von einer Freundschaft konnte, soweit meine Eltern und ich das mit bestem Wissen und Gewissen beurteilen können, keinesfalls die Rede sein.

Der Angeklagte behauptete jedoch das Gegenteil. Eine freundschaftliche Bindung habe seit Kindergartentagen bestanden. Weder meine Eltern noch ich können sich jedoch erinnern, dass mein jüngster Bruder den Angeklagten jemals mit zu sich nach Hause einlud. Auch erzählte er nie vom Angeklagten und hatte auch die Telefonnummer des Angeklagten nicht auf seinem Handy gespeichert.

Unglaubwürdig erschien uns deshalb auch die Aussage des Angeklagten, dass es sich bei der tödlichen Autofahrt um eine Spritztour unter Freunden gehandelt hat. Leider durfte ich bei meiner Zeugenaussage nicht weiter ausholen und von der komplexen Vorgeschichte im Verhältnis zwischen meinem Bruder und dem Angeklagten erzählen. Offensichtlich galt dies als irrelevant. Meine Aussage wurde deshalb mangels Beweisen vom Gericht als bloße Spekulation abgetan und somit das Verhältnis (auch im Urteilsspruch) als Freundschaft bezeichnet.

Bequemer erschien es dem Gericht offensichtlich, das Ganze als Spritztour unter Freunden abzuhaken, anstatt sich mit der psychologischen Dynamik des Verhältnisses zu beschäftigen, was doch der eigentliche Schlüssel zur Aufklärung des Unfalls gewesen wäre zugegebenermaßen aber auch etwas mehr Recherche und einige weitere Zeugenaussagen erfordert hätte.

Mit den wahren menschlichen und sozialen Ursachen, die zum tragischen Tod meines Bruders führten, hatte diese Verhandlung jedenfalls sehr wenig zu tun. Dem Opfer selbst wurde so gut wie keine Aufmerksamkeit und noch weniger Interesse geschenkt. Die Wut darüber wird bei mir und meiner Familie mit der Zeit verklingen die Zweifel an dieser Form der kontextlosen Wahrheits- und Urteilsfindung jedoch nicht.

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