Leserbriefe

Die Menschen sollen verunsichert werden

Peter Reinhardt, Neckartenzlingen. Zum Leserbrief „Droht Deutschland die Islamisierung?“ vom 6. August.

Es ist schon erstaunlich, wie das nicht mehr ganz neue Gespenst der „Islamisierung Deutschlands“ immer wieder aufgefrischt wird. Gespenster sind irreal – aber so schön gruselig – manche mögen das. Es ist doch wohl allgemein bekannt, dass die Staaten, die heute angeben, islamisch zu sein, kaum irgendwo als Vorbild taugen – warum fliehen so viele Menschen daraus? Nur kleine Minderheiten sehen darin eine hoffnungsvolle Zukunft. Dass die Menschen, die aus islamisch geprägten Ländern kommen, ihre alte Heimat lieben und an der von Kindheit an gewohnten Religion festhalten, das ist doch wohl natürlich.

Der Islam hat mehrere Gesichter: sehr ehrenwerte und sehr unangenehme, mehr vielleicht als das Christentum; aber die Verbrechen, die im Namen des Christentums verübt wurden (Kreuzzüge, Ketzerverfolgung, bis hin zu den Gräueln der ach so christlich motivierten Kolonialzeit) dürften – wenn man denn so etwas überhaupt vergleichen kann – für uns beschämend sein, das sollte doch wohl bekannt sein. Dass einige Muslime (wie viel Prozent sind das?) sich den verbrecherischen Theorien der extremen Islamisten anschließen, ist genauso verwunderlich, wie dass es bei uns nicht ganz wenige Menschen gibt, die nach allem, was geschehen und bekannt ist, sich wieder der Naziideologie anschließen.

Dabei sollte doch allgemein bekannt sein, was die Deutschen unter der NS-Herrschaft „geleistet“ haben (60 bis 80 Millionen Tote). Allein gegenüber den KZ-Gräueln der NS-Zeit sind doch alle Verbrechen der Islamisten zusammengerechnet verhältnismäßig bescheiden – auch wenn sie schlimm genug sind. Also: um in einer gefürchteten „Islamisierung“ die größte Gefahr für Deutschland oder gar für Europa zu sehen – da muss man schon gespenstergläubig und/oder absolut geschichtsvergessen und/oder realitätsblind sein. Also: ab mit dem Gespenst der Islamisierung in den Märchenkeller für Gruselsüchtige. Dass die kriminellen Verbrechen der Islamisten heutzutage genauso verfolgt und bestraft werden müssen wie die der deutschen extremen Rechten, ist klar. Von beiden geht eine Gefahr aus – aber kaum die größte, die uns zurzeit zu schaffen macht.

Und noch eines: da kommen Sätze wie „Die Meinungsfreiheit ist bedroht. Kritik an der Regierung und den negativen Veränderungen unseres Landes wird . . . verleumdet;“ kommen im Ton unanfechtbarer Wahrheiten daher – sie haben in einem der freiesten Länder der Welt nicht die Spur von Wahrheit in sich – sie haben nur einen Zweck: Verunsicherung. Und allgemeine Verunsicherung ist die Voraussetzung für eine Entwicklung hin zu Diktaturen. Wer will denn das? Nur Liebhaber von Extremisten, die aus der extremen Minderheitssituation herauskommen wollen, in der sie zurzeit – zum Glück – noch sind.

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