Weihnachtsgrüße

Weihnachten wird vor allem in den größeren Städten zunehmend populärer

Myria Doster lernt zurzeit in Shanghai viele interessante Dinge über die chinesische Kultur mit all ihren Traditionen und Denkweisen und feiert weit weg von zu Hause ein bisschen Weihnachten

Eine Metrostation in Shanghai, eine unvorstellbare Menge an Menschen und ich, zusammen mit meiner Kommilitonin Gisi und unseren riesigen Koffern, mittendrin. Nun war ich also angekommen in China, einem Land, von dem ich bisher nur eine vage Vorstellung hatte, dessen Sprache mir bis dahin ein Rätsel war und in dem ich nun, zusammen mit Gisi, bei der Tochtergesellschaft einer deutschen Firma mein sechs-monatiges Praxissemester absolvieren würde.

Zu unserer ersten Herausforderung wurde der Ticketkauf für die Metro, denn das Prinzip des Anstellens kennt man in China nicht, vielmehr wird am Ticketschalter von allen Seiten gedrückt und gedrängelt.

Nachdem wir dies überstanden hatten, kämpften wir uns durch die aufgrund des chinesischen Nationalfeiertages an diesem Tag total überfüllte Metro und den hupenden, chaotischen Verkehr, begutachteten die hoch aufgetürmt beladenen Fahrräder und kamen nach einer sehr langen, strapaziösen Reise in unserer Wohnung in Shanghai an. Dort wurden wir von unserer Kontaktperson aus der Firma empfangen.

Als wir einen Blick in die an sich sehr schöne und geräumige Wohnung warfen, klangen uns die Worte aus ihrer E-Mail „Everything you need will be there“ noch in den Ohren. Doch das war wohl geringfügig übertrieben, denn der Wohnung fehlten Bettdecken, Kissen, Küchenutensilien und vieles mehr im Prinzip alles, was man tatsächlich braucht. Um nachts wenigstens eine Decke und ein Kissen zu haben, ging es zum ersten Großeinkauf in den Supermarkt, wo wir von motivierten Verkäuferinnen auf Chinesisch beraten wurden. Dass wir sie nicht verstehen konnten, spielte für sie dabei keine Rolle und beim Stichwort „English?“ wurden wir freundlich (oder mitleidig?) angelächelt.

Und auch ansonsten ist das Einkaufen in einem chinesischen Supermarkt ein Erlebnis. Von getrockneten Hühnerfüßen (die auch hin und wieder in unserem Kantinenessen zu finden sind) über lebende Kröten bis hin zu getrockneten „knusprigen Quallenchips“ gibt es dort wirklich alles zu kaufen. Auch die offene Fleischtheke, an der jeder das Fleisch in die Hand nimmt, genauestens inspiziert und wieder zurücklegt, erscheint uns Deutschen doch etwas sonderbar.

Auf einen etwas anstrengenden und nervenaufreibenden Ankunftstag, den wir am Ende aber mit Humor nehmen konnten, folgten dann vor allem positive, spannende und beeindruckende Erlebnisse. Bis zu unserem Praktikumsbeginn blieb uns noch knapp eine Woche Zeit, die wir zum Reisen nutzen wollten. Und so flogen wir bereits einen Tag nach unserer Ankunft in Shanghai weiter nach Peking.

Da unsere Reisezeit in die chinesische Ferienwoche fiel, in der ganz China auf den Beinen zu sein scheint, fühlten wir uns an den Sehenswürdigkeiten wie zum Beispiel der wirklich beeindruckenden „Verbotenen Stadt“ jedoch häufig, als wären wir in einen riesigen menschlichen Ameisenhaufen geraten. Glücklicherweise gibt es in Peking aber auch sehr schöne Parks, in denen man dem Chaos zumindest für eine Weile entkommen kann.

Und nebenbei sieht man hier wunderbare Dinge, die einem so in Deutschland wohl nicht begegnen würden: eine Gruppe Walzer tanzender Paare mitten im Park, nur wenige Meter davon entfernt ein älterer Mann, der völlig in sich gekehrt Qigong praktiziert und sich auch nicht von einer Putzkraft stören lässt, die mit dem Besen um seine Beine herumkehrt und ein paar Schritte weiter ein aus voller Inbrunst singender Männerchor, der hier offensichtlich gerade eine Probe abhält.

Nach wirklich tollen und beeindruckenden Tagen in Peking ging es zurück nach Shanghai, wo nun unser Praktikum losging.

In der Firma haben wir uns vom ersten Tag an sehr wohl gefühlt, vor allem weil unsere zu 99 Prozent chinesischen Kollegen alle total nett, hilfsbereit und liebenswert sind.

Unsere Hauptaufgabe besteht darin, uns im Bereich Gesundheitsmanagement um die Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit zu kümmern. Zusätzlich leiten wir für eine Gruppe von 20 Mitarbeitern eine Art Englisch-Kurs, der vor allem darauf abzielt, die Teilnehmer durch Diskussionen zum Sprechen anzuregen. Generell ist es in China nämlich so, dass die Leute, selbst wenn sie einen guten Wortschatz haben, oft kaum Englisch sprechen können, was vor allem an dem auf das Auswendiglernen fixierten Bildungssystem in China liegt. So ist es keine Seltenheit, dass auch Leute mit einem Bachelor in „Business English“ kaum einen englischen Satz herausbekommen. Dies ist natürlich auch für uns ein Problem, denn ohne Chinesisch-Kenntnisse ist man da oft ziemlich verloren.

Unter anderem aus diesem Grund nehmen wir seit Mitte Oktober Chinesisch-Unterricht und können uns nun im Alltag schon ganz gut durchschlagen. Neben der Sprache lernen wir, zusätzlich zu den Erfahrungen, die wir tagtäglich sammeln, sowohl von unserer Chinesisch-Lehrerin als auch durch die Diskussionen im von uns geleiteten Englisch-Kurs viele interessante Dinge über die chinesische Kultur mit all ihren Traditionen und Denkweisen. Die Wochenenden nutzen wir meist dazu, uns etwas in Shanghai anzusehen oder in nahegelegene Städte wie Hangzhou, bekannt für den „Westlake“, oder Suzhou, das Venedig des Ostens, zu reisen. Zwei tolle Städte, die auch als die schönsten Städte Chinas bezeichnet werden. Mittlerweile ist es Anfang Dezember und nach etwas mehr als zwei Monaten Leben in Shanghai kann ich sagen, dass ich hier bisher eine wirklich total schöne, ereignisreiche, interessante und vor allem niemals langweilige Zeit verbringe und mich sehr auf vier weitere spannende Monate freue.

Gerade um diese Jahreszeit denkt man dann aber doch auch an die Heimat und vermisst etwas die (vor-)weihnachtliche Stimmung. Da die große Mehrheit der Chinesen buddhistisch ist, wird das Weihnachtsfest in China nicht gefeiert.

Das traditionelle Fest hier ist das Frühlingsfest. Dieses wird zu Beginn des neuen Jahres nach dem traditionellen chinesischen Mondkalender gefeiert und fällt im westlichen Kalender immer auf einen Tag zwischen Ende Januar und Mitte Februar. Zwar wird Weihnachten vor allem in den größeren Städten zunehmend populärer und Schaufenster, Kaufhäuser und öffentliche Plätze sind mit Weihnachtsbäumen und Weihnachtsmännern dekoriert, doch so richtige Weihnachtsstimmung will bei mir bis jetzt dennoch nicht aufkommen.

Da wir in einer deutschen Firma arbeiten, werden wir aber am 24. und 25. Dezember frei haben und können so, weit weg von zu Hause und zusammen mit ein paar weiteren deutschen Praktikanten, auch ein bisschen Weihnachten feiern.

Nun wünsche ich meiner Familie, meinen Freunden und Bekannten und natürlich allen Leserinnen und Lesern ein schönes, besinnliches und frohes Weihnachtsfest und einen guten Start in das kommende Jahr 2013.

Shèngdàn kuài lè, xinnián kuàilè.

„Frohe Weihnachten (und) ein frohes neues Jahr!“

Eure

Myria Doster

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