Weihnachtsgrüße

Ein Tag wie jeder andere – oder vielleicht auch nicht

Verena Burger hat sich in China auf die Suche nach Weihnachten gemacht – Während ihres Praktikums hat sie schon viel gesehen und erlebt

Einer ihrer Wochenendausflüge führte Verena Burger nach Xi’an zur Terrakotta-Armee. Der Tag war voller chinesischer Geschichte. Die über 2000 Jahre alten Statuen wurden zerstört, verschüttet und sind erst vor etwa 40 Jahren entdeckt worden. Seitdem sitzen Archäologen jeden Tag vor dem riesigen Puzzle und setzen die mehr als 8000 Statuen wieder Stück für Stück zusammen.

„Do you celebrate christmas in China?“ Auf diese Frage habe ich inzwischen die unterschiedlichsten Antworten bekommen. Die einen sagen ja, es gibt leckeres Essen, man sitzt mit Freunden und Familie zusammen und nutzt Weihnachten, um sich gegensei-tig eine Freude zu machen und Kinder und Enkel zu beschenken.

Die anderen sagen nein, es ist ein Tag wie jeder andere und das heißt hier arbeiten. Inzwischen habe ich mir vor Ort ein eigenes Bild davon machen können. Weihnachten in China ist die kitschige Dekoration, die in den Supermärkten verkauft wird. Im Gegensatz zu Deutschland beschränkt sich das aber auf ein einziges Regal und nicht den ganzen Laden.

Weihnachten in China sind auch die vielen Lichterketten in den Bäumen, wobei diese größtenteils das ganze Jahr über hängen bleiben, weil es in China überall blinkt und leuchtet.

Weihnachten in China ist für mich das Mini-Orchester von drei Leuten, die am Eingang eines Supermarktes stehen und „Jingle Bells“ in Dauerschleife spielen, wenn ich morgens aus dem Haus gehe.

Weihnachten in China ist . . . nicht wirklich existent. Meinen alljährlichen Adventskalender gibt es nicht, an den Häusern fehlt die Rentier-, Weihnachtsmann- und Schneeflockendekoration und wenn man mal das Glück hat, einen Weihnachtsbaum aus der Ferne zu sichten, stellt dieser sich beim Näherkommen meist als etwas anderes heraus. Verständlich wird das alles erst wenn man bedenkt, dass Weihnachten im Buddhismus keine Bedeutung hat – und in China ist die Mehrzahl der Bewohner nun einmal buddhistisch.

Eines von vielen Wanderzielen: Hier führten 1924 Treppenstufen hoch zum Xianglufeng Tempel in Shaoxing.

Aber das fehlende Weihnachten und die blinkenden Städte sind nicht das Einzige, an was man sich erst gewöhnen muss. Das ganze Leben in China ist voller bunter Überraschungen, teils gut, teils weniger gut. Angefangen bei den Supermärkten mit den verrückten Fleischtheke, in denen es alles gibt: von Schildkröten, die grammweise bezahlt werden, über Frösche, die am Aquarium-Rand hängen und einen anschauen, wenn man vorbeiläuft, Fische, die aus den Wasserbecken gefischt wurden, aber dann doch nicht gekauft werden und nun auf dem Boden hin und her springen, und zwischendrin überall riesige Schüsseln mit jeglichen Fleischarten zum Selbstbedienen. Was ich an China liebe sind die kleinen Läden am Straßenrand, die Unmengen an frischem Obst verkaufen, fertig geschälte und geschnittene Melonen, Mangos, Ananas, Papaya, Jackfruit und alles, was man sich vorstellen und wünschen kann. Viele dieser kleinen Läden sind auch Restaurants, kleiner als mein Zimmer daheim in Deutschland, mit offener Küche und einem einzigen Kühlschrank, in dem alles drin ist, was die Speisekarte zu bieten hat. Man kann zuschauen, wie Reis oder Nudeln mit Gemüse und Fleisch angebraten werden. Während des Wartens gibt es einfach so ein Glas Wasser und das fertige Essen wird einem vom Koch persönlich mit einem sympathischen und ehrlichen Lächeln serviert. Wenn man bedenkt, dass so eine Mahlzeit gerade mal etwas mehr als einen Euro kostet, ist es fast eine Schande, dass es in China nicht üblich ist Trinkgeld zu geben. Es ist nicht nur nicht üblich, die Leute weigern sich tatsächlich es anzunehmen.

Was ich zugeben muss ist, dass es wirklich schwierig ist, sich in China richtig einzuleben, besonders wenn sich, wie bei mir, das Chinesisch auf „einmal gebratenen Reis zum Mitnehmen, bitte. Nicht scharf“ beschränkt. Auch meine helle Haut und meine hellen Haare sind nicht gerade nützlich, um in der Menge nicht aufzufallen. Manchmal ist allerdings gerade das der Auslöser für die unvergesslichsten Momente hier. Wenn wildfremde Leute auf einen zukommen und ein Foto zusammen machen wollen, man zur Touristenattraktion wird, weil plötzlich 20 Leute stehen bleiben und anfangen wild Fotos zu schießen und man beginnt zu verstehen, wie sich ein Superstar fühlen muss, wenn er nur auf die Straße geht.

Da kommt vermutlich dem einen oder anderen die Frage auf, was ich eigentlich hier in China mache? Ganz einfach: ein Praktikum. Nach meinem Bachelor in Textil- und Modedesign habe ich das Angebot bekommen, für ein Dreivierteljahr in die Realität der Textilindustrie einzutauchen. Anfang Oktober ging es los nach Shaoxing, eine „Kleinstadt“ unterhalb von Shanghai mit etwa fünf Millionen Einwohnern, von denen etwa vier Millionen in der Textilbranche arbeiten.

Danach ging es für zwei Wochen nach Guangzhou in den Süden Chinas zu einem der größten chinesischen Denim-Betriebe und in eine Leder-Gerberei. Der nächste Stopp ist eine Bekleidungsfirma in Vietnam, im März geht es zurück nach Shanghai auf die weltweit größte Textilmesse, bevor es dann im April weiter nach Myanmar zu einer Näherei geht. Schon jetzt habe ich unglaublich viel gesehen und erlebt, habe Maschinen beobachtet, über die ich in den Vorlesungen an meiner Hochschule alles gelesen und Bauteile auswendig gelernt habe, ich durfte Nähereien, Webereien, Spinnereien und Druckereien besichtigen und habe bei den vielen Kundenterminen mitbekommen, wie knallhart die Textilbranche ist und wie um jeden Cent pro Meter gefeilscht wird.

Meine freie Zeit nutze ich, um möglichst viel von China zu sehen. Da ich nur jede zweite Woche zwei Tage frei habe, nutze ich diese Wochenenden für Ausflüge wie nach Xi’an, Shanghai, Hangzhou, Zhangjiagang oder andere, weiter entfernte Städte. An meinen freien Sonntagen heißt es dann die nähere Umgebung erkunden, oftmals mit meinen Arbeitskollegen, die mir ihre liebsten Tempel zeigen, mit mir zusammen auf die schönsten Berge steigen und dabei teilweise ihre Katzen mitnehmen und zum Abschluss gibt es dann ein traditionelles chinesisches Abendessen. Wie ich Weihnachten dieses Jahr verbringen werde, weiß ich noch nicht genau. Die größte Umstellung wird wohl sein, nicht morgens aufzuwachen und sich in Pulli, lange Hose, Wollsocken, Schal und Winterjacke einzupacken, sondern die Tatsache, dass ich ganz entspannt in Shorts, T-Shirt und Flip-Flops nach draußen kann.

In den ersten zwei Wochen nach meiner Ankunft im Süden Asiens habe ich vor, durch Kambodscha und Laos zu reisen, meinen Geburtstag unterwegs zu feiern und wenn alles klappt, treffe ich die beiden Backpacker wieder, die ich bei einem meiner Wochenendausflüge in China kennengelernt habe.

Am ersten Weihnachtsfeiertag bekomme ich dann tatsächlich Besuch von meiner Mama. Mit ihr heißt es Vietnam erkunden, Neujahr feiern und meinen und ihren Urlaub genießen, bevor es für sie ins kalte Deutschland und für mich zurück an die Arbeit geht. Im November habe ich bereits die Postkarten mit Weihnachts- und Neujahrsgrüßen verschickt, damit sie hoffentlich rechtzeitig in Deutschland ankommen. Sollte das nicht geklappt haben, dann kommen die Grüße eben auf anderen Wegen, unter anderem hier in der Nürtinger Zeitung!

Ganz liebe Grüße, frohe Weihnachten, schöne Feiertage und schon jetzt einen guten Start ins neue Jahr an meine Eltern und meinen Bruder, an Katze, Yase und alle anderen Fußballfrauen, an meine Zirkusfamilie, an das Nähsaalteam, an Conny und Doris, an Anke, Detlef und alle Meiswinkler – einfach an alle Daheimgebliebenen. Ganz besonders liebe Grüße gehen an Alicia, die hier auch von ihrem Auslandsjahr und ihrem Weihnachten in Chile berichtet.

Verena Burger

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