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„Eigentlich wollte ich Stromer werden“
Ministerpräsident Winfried Kretschmann stellte sich bei unserer 25. Schülerpressekonferenz Fragen von Jugendlichen
Zum Jubiläum kam der Ministerpräsident: Bereits zum zweiten Mal war Winfried Kretschmann Teilnehmer unserer Schülerpressekonferenz. Dieses Mal stellte sich der Landeschef den Fragen der Jugendlichen unseres Projekts „Zeitung in der Schule“. Er sprach über seinen früheren Traumberuf, Flüchtlinge, die Bundeswehr in Syrien und übers Kiffen.
NÜRTINGEN. Gibt es Termine, auf die ein Ministerpräsident sich freut? Nach dem Gesichtsausdruck von Winfried Kretschmann zu schließen, könnte die Jugendpressekonferenz gestern im Stadtbüro unserer Zeitung einer davon gewesen sein. Denn schon bevor die erste Frage gestellt wurde, lächelte Kretschmann auf dem Podium. Dabei hatten es die Fragen der Schüler aus der 9a des Gymnasiums Neckartenzlingen, der Klasse WS1S der Nürtinger Albert-Schäffle-Schule, von den Neuntklässlern der Rudolf-Steiner-Schule Nürtingen und der 9b des Max-Planck-Gymnasiums durchaus in sich, wie auch der Ministerpräsident nach der Veranstaltung einräumte.
Viel Platz nahm das Thema Flüchtlinge bei den Fragen der Teenager ein. Zum Beispiel, wie nach den Anschlägen von Paris jetzt mit dem Flüchtlingsstrom umgegangen werden soll. Der Terrorismus habe mit den Flüchtllingen nicht direkt etwas zu tun, sagte Kretschmann. Bis auf einen seien alle Attentäter aus Frankreich oder Belgien gekommen und dort auch radikalisiert worden.
Um solche „Gefährder“ im Land besser beobachten zu können, habe man auch im Land die zuständigen Abteilungen beim Verfassungsschutz und Landeskriminalamt verstärkt. Und man plane eine Präventionszentrum, das Jugendlichen beim Ausstieg aus radikal-islamischen Gruppen helfen soll. Es sei sogar das Gegenteil der Fall, die Menschen aus Syrien flüchteten vor dem Terror des Islamischen Staats, fügte Redakteur Andreas Warausch hinzu, der die Konferenz moderierte.
Zum geplanten Einsatz der Bundeswehr in Syrien sagte Kretschmann: „Frankreich hat uns um Hilfe gebeten, und ich finde es gut, dass wir dieser Bitte nachkommen“, erklärte er den Schülern. Allerdings ließen sich solche Krisen nicht allein mit militärischen Mitteln lösen. „Man wählt immer zwischen zwei Übeln“, so Kretschmann.
Ein Schüler wollte wissen, ob das Land die Integration der vielen Flüchtlinge schaffen könne. „Wenn der Zustrom an Flüchtlingen so weitergeht, bekommen wir ein Problem“, sagte Kretschmann. Deshalb könne man die Krise nur Schritt für Schritt lösen. Und zwar nicht nur vor Ort: die internationale Gemeinschaft müsse auch die Fluchtursachen bekämpfen. Dazu zähle auch, dass man dem UN-Flüchtlingshilfswerk genügend Geld zur Verfügung stelle, damit die großen Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten Syriens, im Libanon, in der Türkei und Jordanien wieder ausreichend finanziert werden. Die Unterversorgung von Millionen Flüchtlingen dort sei einer der Auslöser für die Flüchtlingswelle nach Europa gewesen.
Ein anderes Mittel, den Flüchtlingsstrom zu regulieren, sei eine restriktivere Anwendung des Asylrechts: „Menschen, die nicht aus Bürgerkriegsländern kommen und die nicht politisch verfolgt werden, die schicken wir wieder zurück“, so Kretschmann.
Wichtig sei auch die Sprachförderung, so gebe es jetzt zahlreiche Vorbereitungsklassen, in denen Kinder und Jugendliche Deutsch lernen. Außerdem sei für die Flüchtlinge die Integration in unsere Rechtsordnung Pflicht: „Wir können die Menschen nur integrieren, wenn sie sich an unsere Gesetze halten“. Asylbewerber, die Straftaten begingen, würden in der Regel zurückgeschickt, außer es drohe ihnen in ihrem Heimatland Gefahr für Leib und Leben. Es sei weniger die Zahl der Flüchtlinge das Problem als die Geschwindigkeit, mit der sie ins Land kämen. Bei seinem Amtsantritt 2011 hätte es im Land 900 Plätze für Asylbewerber gegeben. Aktuell gebe es im Land 45 000 Plätze. „Wir können das schaffen“, sagte Winfried Kretschmann.
Er stamme selbst aus einer Flüchtlingsfamilie, schilderte er die Erlebnisse aus seiner Jugend: „Früher war ,Flüchtling‘ ein Schimpfwort“, so der Landesvater. Auch habe sein älterer Bruder als Flüchtling in seiner Heimatgemeinde nicht Ministrant werden dürfen.
Was er denn damals von Beruf werden wollte, fragte eine Schülerin. „Nach den Erzählungen meiner Mutter wollte ich eigentlich Stromer werden“, antwortete der Ministerpräsident. Damals hätten er und seine Freunde immer unter einer Hochspannungsleitung im Bau gespielt und die Arbeiter, die hoch oben die Kabel zogen, bewundert. Deshalb hätten viele damals unbedingt Elektriker werden wollen. Später habe er Pfarrer werden wollen, dann eine Zeit lang Schmied. Der Berufswunsch Politiker sei eigentlich nicht dabei gewesen.
Aber als Ministerpräsident muss man sich auch kniffligen Fragen der im Schnitt 14-jährigen Schüler stellen. So wurde er auch gefragt, wie er zu einer Legalisierung von Cannabis stehe. „Im Prinzip bin ich dafür“, antwortete der Ministerpräsident – gefolgt von einer Kretschmann-typischen Pause. Dann setzte er nach: Es sei aber nicht so, dass er hier das Kiffen propagieren wolle. Es gehe nicht darum, zu sagen, jetzt ist Cannabis frei und jeder könne sich die Birne vollhauen. Im Gegenteil: „Die kontrollierte Abgabe muss mit einem Kampf gegen die Drogen verbunden werden“. Es klinge zwar widersprüchlich, aber durch eine Legalisierung ließe sich der Cannabiskonsum viel besser beschränken.
Zum Abschied gab es für den Landesvater eine Paula-Print-Puppe
Auch der gesamten organisierten Kriminalität, vom Islamischen Staat bis hin zur mafiösen Vereinigungen, die derzeit am illegalen Drogenhandel mitverdienen, würde so die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Einen solchen Schritt könne aber kein einzelnes Land gehen. Es müssten sich alle Industrienationen verständigen und eine gemeinsame Lösung finden. Es sei aber im Moment politisch nicht umsetzbar, so der Ministerpräsident.
Er verglich eine mögliche Freigabe von Cannabis mit dem Konsum von Alkohol und Tabak. Auch hier sei durch Aufklärung und Verkaufsbeschränkungen der Handel kontrolliert. Und das Beste sei, gar nicht erst damit anzufangen. Er zitierte einen alten Merkspruch seines Biologie-Lehrers: „Der Nichtraucher entbehrt durch Nichtrauchen nichts.“ Das gelte analog auch für den Cannabis- und Alkoholkonsum.
Nach gut einer Stunde musste der Ministerpräsident schon zum nächsten Termin eilen – er ging, wie er gekommen war, mit einem Lächeln im Gesicht, und seiner zweiten Paula-Print-Plüschfigur im Gepäck, die ihm Andreas Warausch als Andenken überreichte.