Licht der Hoffnung

Ein nachhaltiger Kabarett-Abend

Licht der Hoffnung: Fatih Çevikkollu sorgt für ein Wechselbad zwischen betretener Stille und herzhaftem Lachen

Fatih Çevikkollu hat die Zuhörer in Beuren zweieinhalb Stunden lang mit einem kurzweiligen Programm unterhalten. Foto: Holzwarth

„Kabarett ist ein Denkraum – einer denkt vor, die anderen denken nach“ – mit dieser Formel hat der Kabarettist Fatih Çevikkollu sein Soloprogramm am Samstagabend in der Kelter in Beuren beendet. Die Besucher der zweiten Veranstaltung der 29. Saison des Festivals der Hoffnung haben nun viel nachzudenken, denn der Kölner hat zweieinhalb Stunden lang geredet.

BEUREN. Wer Fatih Çevikkollu in seiner Rolle als Türken Murat von der Fernsehsendereihe „Alles Atze“ mit Atze Schröder kennt und mit einem Abend voll flacher Comedy und Zoten gerechnet hat, der wurde in Beuren definitiv von dem mittlerweile 47-Jährigen eines Besseren belehrt. Klar, der Kölner hatte auch solche Momente, wenn er beispielsweise Witze wie den vom Zusammentreffen vom Elefanten und vom nackten Mann erzählte, bei dem sich der Elefant wundert, wie denn der Mensch „jemals sein Essen in den Mund kriegt“.

In erster Linie bot Fatih Çevikkollu jedoch keine leichte Kost, sondern anspruchsvolles, sehr bissiges und kluges politisches Kabarett. Die Zuhörer musste einige Male erst einmal ein paar Sekunden nachdenken, um die Pointen und den Wortwitz zu verstehen. Der 47-Jährige legte den Finger in einige Wunden, sprach Dinge an, die nicht jeder hören möchte, und provozierte auch mehrmals das Publikum, das ein paar Mal betroffen schlucken musste. Betretene Stille machte sich im Raum breit, als der Kölner fragte, wer sich alles schon von den Nazis distanziert hat. „Ihr seid die Enkel der Täter“, rief er den Zuhöhern zu und stellte mit Blick auf die AfD fest: „Wir haben gegenwärtig 91 Rassisten im Bundestag sitzen. Menschen ausgrenzen ist bei denen Parteiprogramm. Warum distanzierst du dich nicht?“

Fatih Çevikkollu stellte auch fest, dass der ehemalige deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel, der inzwischen beim Rüstungsunternehmen Rheinmetall als Berater tätig ist, den Deal mit einer türkischen Rüstungsfirma mit eingetütet hat. In einer Fabrik in der Nähe von Istanbul sollen gemeinsam Panzer gebaut werden. „Beim Teppichschmuggel fällt nicht genug ab. Wenn schon Teppich, dann Bombenteppich, die werfen deutlich mehr ab“, kommentierte der Kabarettist und stellte fest: „Wir haben in Deutschland Frieden, sind aber der drittgrößte Waffenhändler der Welt. Den Krieg verkaufen wir, das rechnet sich.“

Die unangenehme Stille im Raum löste der 47-Jährige aber immer schnell wieder auf, indem er gleich darauf Witze wie diese erzählte: „Sind Menschen, die in Warschau in der U-Bahn sitzen eigentlich Metropolen?“ und „Nennt man Rituale bei Schönheitswettbewerben Missbrauch?“

Redaktionsleiterin Anneliese Lieb hatte zu Beginn in den Abend eingeführt und die „besondere Atmosphäre“ in der Kelter hervorgehoben, die gut zur Veranstaltung passe. Sie hatte unter den Besuchern unter anderem besonders die Vertreter der Anwaltskanzlei Dr. Mittsdörffer, Weible und Kollegen begrüßt, die die Veranstaltung mit ihrer Spende ermöglicht haben, sowie Bürgermeister Daniel Gluiber, der trotz des Geburtstags seines Schwiegervaters in die Kelter gekommen war. Vertreten war auch der Verein Namél mit einem kleinen Stand, der als eines von sechs geförderten Projekten von „Licht der Hoffnung“ mittels Spendengeldern eine Kinderkulturwerkstatt in Gambia aufbauen möchte.

Fatih Çevikkollu war dann zu Musik erst einmal rappend auf die Bühne gekommen – in Anzug, weißem T-Shirt und Badelatschen – und hatte prophezeit: „Das wird ein super Abend mit einem sensationellen Programm. Ich weiß es. Ich habe es schon gesehen.“

Es folgte nicht nur Kritik an der AfD, sondern alle Parteien bekamen ihr Fett ab – mit Sprüchen wie: „Wer die FDP wegen Lindner wählt, der wählt auch die Piraten wegen Johnny Depp. Irgendein Depp wird immer gewählt.“ Der Kölner bezeichnete Angela Merkel als „erste effektive Würgeschlange im Parlament“, stellte aber auch fest: „Der Merz kann jedes Jahr wiederkommen. AKK macht es ihm auch leicht.“

„Was hat dem Land mehr geschadet? Nationalismus oder Migration?“

Fatih Çevikkollu

Der Kabarettist sprach wenig später über den „Übergang vom Industriezeitalter ins Informationszeitalter“ und unterteilte die Zuschauer je nach Alter in junge „digitale Eingeborene“ und ältere „digitale Migranten“ und erzählte den jüngeren Besuchern von Telefonwählscheiben und „festen Telefonen“, mitunter mit Brokat-Überzug, die „wir nicht mitnehmen konnten“. „Unsere Handys waren 2,20 Meter groß, gelb und begehbar.“ Digitale Migranten seien daran zu erkennen, dass sie nach einem „WLAN-Kabel“ fragen würden: „Ein Großteil hier versteht nicht einmal den Gag.“

In den 1980er Jahren konnten die ersten Computer pro Sekunde 80 Befehle bearbeiten, erzählte Çevikkollu. „Und bei welcher Zahl sind wir jetzt?“ Die Schätzungen im Raum lagen alle noch weit entfernt vom tatsächlichen Wert: sieben Milliarden Steuerbefehle pro Sekunde. „Und alle zwei Jahre verdoppelt sich die Kapazität. Daher brauchen wir auch alle zwei Jahre ein neues Handy.“ Der Kölner riet dazu, „unseren Kindern beizubringen, was Maschinen nicht können: Empathie, Mitgefühl, Solidarität, Kreativität und Ideenreichtum“. Menschen und Roboter ließen sich auch in Zukunft auseinanderhalten: „Erzähle einen Witz! Maschinen kennen keinen Humor, keine Ironie und kein Lachen.“

Und wenn die Technik durch die Decke gehe, „gehen die Menschen zurück in die Höhle“. In vielen Staaten würde über die „gute alte Zeit“ geredet. „Unser Glück in Deutschland ist, dass wir uns nicht entscheiden können, was die gute Zeit war: Adenauer, Honecker oder Kohl?“ Der Kabarettist regte sich auf über Seehofers Ausspruch „Migration ist die Mutter aller Probleme“ und fragte: „Was hat unserem Land mehr geschadet? Nationalismus oder Migration?“ Migration verändere die Gesellschaft – zum Guten. Und der Streit, welche Religion die bessere ist, komme ihm vor wie der Streit von zwei Kindern, welcher unsichtbare Freund der bessere ist. Gesellschaft sei die „Gleichzeitigkeit von Unterschiedlichkeiten“. Wer nicht unterscheiden könne zwischen Deutschen und Nazis sowie dem Islam und Terroristen, sei das Problem: „Lasst uns Teil der Lösung sein.“

Am Ende waren alle Besucher begeistert und freuten sich über eine mehrminütige „Zugabe“ des Kabarettisten.

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