Nürtingen

Offener Brief zum Thema Fluglärm

Die Bürgermeister der von der neuen Abflugroute TEDGO betroffenen Gemeinden wenden sich an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Verkehrsminister Winfried Hermann, Oberbürgermeister Christof Bolay aus Ostfildern und an alle Abgeordneten.

Johannes Fridrich, Oberbürgermeister von Nürtingen, und seine Kollegen Matthias Ruckh aus Wolfschlugen, Sebastian Kurz aus Aichtal, Ralf Barth aus Denkendorf, Otto Ruppaner aus Köngen, Gerhard Gertitschke aus Neckartailfingen, Melanie Braun aus Neckartenzlingen, Ingo Hacker aus Neuhausen und Sascha Richter aus Schlaitdorf haben mit Datum 12. Oktober einen offenen Brief an den Vorsitzenden der Fluglärmkommission Christof Bolay, Ministerpräsident Kretschmann, Verkehrsminister Hermann und alle Bundestags- und Landtagsabgeordneten aus ihren Wahlkreisen geschickt.

Dieser Brief im Folgenden im Wortlaut: „Wir appellieren an Sie, das Flugänderungsverfahren mit der neuen TEDGO Flugroute zu stoppen und den Tagesordnungspunkt der Fluglärmkommission am 2. November 2021 abzusetzen. In den vergangenen Wochen hat sich gezeigt, dass zum einen das Verfahren nicht entscheidungsreif ist und zum anderen der neuen Flugroute massive rechtliche und tatsächliche Bedenken entgegenstehen.

1.) Verfahren: Die nach Angaben der Fluggesellschaften vier Jahre andauernde Diskussion um die neue TEDGO Flugroute fand bis April ohne Einbindung unserer Gemeinden statt. Die Bürgerinnen und Bürger wurden erst am 4. August 2021 informiert. Manche Kommunen haben bis heute keinerlei Informationen über die Auswirkungen auf ihre Gemeinden. So ist der ,TEDGO Punkt neu‘ viel tiefer als der ,TEDGO Punkt alt‘, sodass auch Kommunen hinter Neckartailfingen stärker betroffen sein dürften. Dies alles wissen wir aber nicht, da es keinerlei objektivierten Gutachten bezüglich Lärm-, Umwelt- und Klimaauswirkungen gibt. Die einzigen Daten stammen von Fluggesellschaften, die ein eigenes wirtschaftliches Interesse haben.

Dies wäre, als ob beim Bau eines Kohlekraftwerkes der Betreiber die Emissionsauswirkungen selbst berechnet und die Gutachten liefert. Dabei werden überdies unzählige Faktoren in den Messungen nicht berücksichtigt, wie zum Beispiel die Topographie der Ortschaften oder der Einfluss des Ostwindes auf die Schallausbreitung. Diese Lärmauswirkungen auf den Dauerschallpegel ,TEDGO neu‘ und etwaige Entlastungen des Dauerlärmpegels werden nicht untersucht. Es fehlt eine Gesamtlärmbetrachtung ebenso wie nachvollziehbare Berechnungen von CO2-Minderungen. Eine natur- und artenschutzrechtliche Würdigung der Auswirkungen des Überflugs über das Landschaftsschutzgebiet ,Sauhag‘ liegt nicht vor. Aussagen darüber, ob es technisch möglich wäre, insgesamt mehr Flugzeuge über die gesplitteten Routen zu führen, fehlen. Dies würde dann alle Gemeinden zusätzlich belasten.

Wir fühlen uns in jeglicher Hinsicht nicht ausreichend informiert. Zu den Gemeinderatssitzungen kamen keine Vertreter der Deutschen Flugsicherung oder des Flughafens. Der Fluglärmbeauftragte hat sein Kommen wieder abgesagt. Bei der Bürgerinformationsveranstaltung in Nürtingen waren weder die Fluglärmkommission, noch der Fluglärmbeauftragte noch die Deutsche Flugsicherung vertreten.

Dieses aus der Zeit gefallene Verfahren steht aus unserer Sicht gegen alles, wofür die Landesregierung eintritt: Transparenz, Qualität der Entscheidungsgrundlage und Bürgerbeteiligung. So erinnern wir an die Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg, die 2013 zusammen mit Rheinland-Pfalz mehr Fluglärmschutz durch Bürgerbeteiligung forderten.

2.) Inhalt: Inhaltlich gibt es viele, zum Teil ungeklärte Kritikpunkte wie zum Beispiel, ob der Planfeststellungsbeschluss des Flughafens diese Flugroute abdeckt oder ob der Artenschutz im Landschaftsschutzgebiet beachtet wird. Einen Punkt möchten wir herausgreifen. Nach unseren Erkenntnissen steht die Flugsicherheit bei der Planungsentscheidung an erster Stelle. Diese darf sich nicht verschlechtern. Inhaltlich weichen jedoch die geplanten Routen von den im Grundsatz international bindenden ICAO-Vorschriften ab.

Hierzu führt die Deutsche Flugsicherung Folgendes aus: ,Aus Procedure Design Sicht ist die Variante 1 zu bevorzugen, da alle anderen Varianten extrem von ICAO Vorgaben abweichen und aus dieser Sicht eine Umsetzung unwahrscheinlich erscheint‘. Um welche Vorschriften es sich handelt, wissen wir nicht. In Denkendorf haben die Vertreter der Fluggesellschaften jedoch kundgetan, dass die Variante 1 Denkendorf so belasten würde, dass diese nicht befürwortet werden sollte. Im Ergebnis bleibt somit keine der vier Varianten übrig.

3.) Ziel: Wir möchten betonen, dass wir die Situation der vom Fluglärm betroffenen Kommunen wie Nellingen und Deizisau sehen und wir an einem ganzheitlichen Ansatz zur Entlastung aller Kommunen mit- arbeiten möchten. Ein erfolgversprechender Lösungsansatz wäre die Umstellung vom Flachflugverfahren auf das bereits oftmals praktizierte Steilflugverfahren. Dies würde auch auf zugelassenen Abflugrouten Lärm deutlich reduzieren und nicht noch zusätzlich neuen Lärm verursachen. Erforderlich ist hier ein auf politischer Ebene ergebnisoffener, unter Beteiligung der Öffentlichkeit geführter Prozess, an dem wir gerne konstruktiv mitarbeiten.

Eine Weiterplanung der ,TEDGO neu‘ Route halten wir aus den oben genannten Gründen für nicht vertretbar und bitten alle Beteiligten hier die Reißleine zu ziehen. In diesem Zusammenhang ist die gesamte Situation, aber auch die geplante Entwicklung am Stuttgarter Flughafen mit einzubeziehen. Die Entwicklung in Richtung Westen sollte mit aufgezeigt werden. Zudem sollten sämtliche Lärmquellen mit einbezogen werden, um gemeinsam für unsere Bevölkerung die Lärmeinwirkungen anzugehen.“

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