Kultur
Heute käme Mörike unter die Räder
Sehr gut besuchter Vortrag über den Dichter im Nürtinger Stadtmuseum
NÜRTINGEN. In einer Zeit, da wirtschaftliches Denken, Leistung und Effizienz an erster Stelle stehen, hätte der Dichter Eduard Mörike keinen Fuß auf den Boden gebracht. Er wäre wohl unter die Räder gekommen. Das machte der Vortrag deutlich, den die Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin Dr. Ute Herbusch am Montag im Stadtmuseum hielt. In ihrem Referat „Eduard Mörike als Vikar“ untersuchte sie die Arbeit eines „dichtenden Dorfgeistlichen“ im frühen 19. Jahrhundert. Es entstand das Bild eines Mannes, der sich durch Krankheiten seinen Pflichten zu entziehen suchte. Die Ökonomie war ihm etwas Niederträchtiges. Heute ist das Bild ein ganz anderes. Mörike ist derzeit, wie sich an dem Abend zeigte, immer gut für einen vollen Saal.
Vermutlich besteht heute ein falsches Bild von den Aufgaben eines früheren Dorfgeistlichen. Meist war er der einzige Mann im Ort mit einer höheren Bildung, und wenn die Obrigkeit etwas wissen wollte, war er für sie der Ansprechpartner. Wenn zum Beispiel eine Volkszählung anstand, war es die Aufgabe des Geistlichen, die Zählung vorzunehmen und die Daten weiterzureichen. Von der Idylle eines Landgeistlichen konnte also kaum die Rede sein.