Kultur
Ein furchtloser Chronist in dunkler Zeit
Wilhelm Lohrmann las in der Buchhandlung im Roten Haus aus Viktor Klemperers Tagebüchern
NÜRTINGEN. Am vergangenen Freitag hielt Wilhelm Lohrmann anlässlich des „Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ in der Buchhandlung im Roten Haus einen Vortrag über Viktor Klemperer.
Im ersten Teil seiner Ausführungen ging er auf die Biografie Klemperers ein: Der kam aus einer gutbürgerlichen Familie, die zwar jüdisch war, aber kein von Religion geprägtes Leben führte. Der Vater predigte am Sonntag, nicht einmal an wichtigen Feiertagen wurde gefastet, die Brüder arbeiteten als Ärzte und Rechtsanwälte, die Schwestern heirateten Männer mit angesehenen akademischen Berufen. Viktor selbst übernahm nach anfänglichem Schwanken eine Professur für Romanistik an der TH Dresden. Für Viktor war es selbstverständlich, sich als Kriegsfreiwilliger zu melden, von 1915 bis zum Kriegsende diente er.
Während der Weimarer Republik hatte Klemperer relativ wenig mit Politik und Demokratisierung am Hut, die Sozialrevolutionäre nannte er „Schmocks“ (Trottel). Die Klemperers – Viktor heiratete 1904 Eva Schlemmer, Christin und Konzertpianistin – richteten sich ein: Ein Haus wurde gekauft, man unternahm ausgedehnte Reisen, besuchte das Kino oder Tanzveranstaltungen. Kurzum: Viktor und Eva Klemperer lebten ein ganz normales bürgerlich-deutsches Leben, gesellschaftlich integriert und anerkannt, politisch eher indifferent.