Was will man mehr mit 90? Auf der Theaterbühne stehen, vor Publikum über Literatur plaudern, am Mikrofon Weltbestseller wie die von John Grisham auf Deutsch vertonen - und ein erfülltes Familienleben führen in der Schweiz. Der Schauspieler Charles Brauer macht einen rundum zufriedenen Eindruck. «Es geht zwar nicht mehr alles so toll wie noch vor zehn Jahren. Aber ich passe auf mich auf und halte mich fit. Jammern ist nicht», sagt der fidele Berliner der Deutschen Presse-Agentur anlässlich seines 90. Geburtstags am Donnerstag (3. Juli).
Nach einer Sommerpause legt der langjährige Hamburger «Tatort»-Kommissar im Herbst wieder los und gestaltet mehrere Literaturabende mit Musik. Im November ist er am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg noch einige Male im Zweipersonenstück «Dienstags bei Morrie» zu sehen. Mit dem Theater ist Brauer eng verbunden - feierte er dort doch 2024 sein 70-jähriges Bühnenjubiläum. Eine lange Karriere, für die er in Berlin auch mit dem Deutschen Schauspielpreis für sein Lebenswerk geehrt wurde.
«Ich könnte mir vorstellen, dass "Morrie" meine letzte Rolle war», sagt Brauer. «In meinem Alter kann sich ja morgen schlagartig alles ändern. In diesem Alter denkt man jeden Tag einmal an den Tod.» Trotzdem: mit solchen Gedanken hält er sich nicht auf, sondern plant lieber weitere Literaturabende.
Viele Fans sammelte Brauer als Kommissar Brockmöller im Hamburger ARD-Krimi «Tatort». Von 1986 bis 2001 spielte er an der Seite von Manfred Krug alias Kommissar Paul Stoever. Die beiden gingen als Swinging Cops in die «Tatort»-Geschichte ein, weil sie immer wieder musikalische Einlagen einstreuten, mit Gesang, Klavier oder auch Mundharmonika.
Aus der gemeinsamen Musikleidenschaft entstand sogar eine CD, die mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet wurde. Sein Sangestalent stellte Brauer Ende der 1990er Jahre zudem als Higgins im Musical «My Fair Lady» in Essen unter Beweis.
Fast 25 Jahre nach seinem Ausstieg wird Brauer noch auf die «Tatort»-Zeit angesprochen. Das sei in Ordnung. «Der „Tatort“ ist halt eine der oder die prominenteste Nummer des deutschen Fernsehens. Wenn man das 16 Jahre macht, ist klar, dass das eine nachhaltige Wirkung hat», sagt Brauer. «Es hatte auch viele Vorteile: Veranstalter einer Theatertournee holen Dich eher, wenn Du über das Fernsehen eine bekannte Nase bist.»
Tatsächlich brachte die Tatort-Prominenz ihm auch den Job zur Vertonung der Werke von John Grisham als Hörbücher ein. «Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch keine Zeile von Grisham gelesen», erzählt Brauer. «Das waren ja Thriller, das interessierte mich nicht so furchtbar.» Inzwischen schätzt Brauer den US-Autoren sehr. «Bei Grisham geht es immer um die Justiz in den USA, der man nicht in die Hände fallen möchte», sagt er. In diesem Jahr kam der neuste Grisham-Band als deutsches Hörbuch heraus: «Die Legende». Nach dem gründlichen Lesen brauche er rund fünf, sechs Tage im Studio für die Produktion, sagt er.
Zwar hat Brauer den 70-jährigen Grisham bislang nicht getroffen, aber der Schriftsteller schätzt die Hörbücher sehr: «I keep writing, you keep reading» - Ich schreibe weiter, Sie lesen weiter, schrieb Grisham vor ein paar Jahren an Brauer. In der Tat versteht es der Schauspieler wie kaum ein anderer, mit seiner markanten Stimme die Charaktere mit verschiedenen Stimmlagen zum Leben zu erwecken. So läuft es auch bei den Literaturabenden, die Brauer nach eigenen Ideen vor Publikum gestaltet.
Einen eigenen Roman trage er jedoch nicht in sich: «Nein, da bin ich zu anspruchsvoll, was Literatur betrifft», sagt er lachend. Er hat 2023 aber einen Band mit Erzählungen herausgebracht über Erlebnisse und Leute, die ihn geprägt haben, «Die blaue Mütze». Mit so einer Mütze entdeckte 1946 der Regisseur Gerhard Lamprecht den elfjährigen Brauer in Berlin. Prompt engagierte er den Jungen, der damals noch Charles Knetschke hieß, für den Film «Irgendwo in Berlin».
Ab 1954 stand Brauer auch in der ersten deutschen Familienfernsehserie vor der Kamera, «Familie Schölermann». Die Serie wurde zu einem Straßenfeger und Brauer als ältester Sohn Heinz zum Traum der Nachkriegsfräuleins und ein Schwiegermutterschwarm. Ob Theater, Film, Fernsehen oder als Vorleser: Jede Aufgabe sei anders und für sich spannend, sagt Brauer. «Aber das Theater ist grundsätzlich die Nummer eins. Ohne Theater: das geht gar nicht.»
Beim Plaudern kommt das Berlinerische bei Brauer immer wieder durch: «Keene Lust mehr», oder «Kenn ick gar nicht», sagt er. Dabei lebt er seit rund 40 Jahren bei Basel in der Schweiz, inzwischen mit Schweizer Pass. Verheiratet ist er mit der Bühnenbildnerin Lilot Hegi, mit der er einen Sohn hat. Aus einer früheren Ehe mit der Schauspielerin Witta Pohl (1937-2011) hat er zudem Zwillinge. Zum Geburtstag gibt es deshalb erst viel Familienbesuch, anschließend ein großes Fest für Freunde. «Da freue ich mich drauf», sagt Brauer.
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