Ein wackeliges Handyvideo sorgt für Aufregung rund um den Geiseltalsee, einem beliebten Badesee im Süden von Sachsen-Anhalt, in der Nähe von Leipzig. Ein Tier auf vier Pfoten schleicht in der Ferne über eine Wiese an einem Waldrand entlang. Eine Stimme hinter der Kamera mutmaßt: «Weißt du, was das ist? So was wie ein Puma!» In der kleinen Stadt Braunsbedra suchen jetzt Polizei und Feuerwehren unter anderem mit Drohnen und einem Hubschrauber nach dem möglichen Raubtier.
Eine erste Sichtung habe es am Freitagabend im Bereich des Hafens von Braunsbedra gegeben, sagte die zuständige Dezernentin des Saalekreises, Sabine Faulstich. Man sei sehr sicher, dass es sich bei dem Video nicht um eine Fälschung handele, betonte sie. Eine Mitarbeiterin des Landratsamtes habe das Video aufgenommen.
Am Montag sei der Landkreis informiert worden, am Abend informierte der Kreis die Bevölkerung per Warn-App Nina über die Sichtung einer Großkatze. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, sich keinesfalls dem Tier zu nähern oder sich in Wiesen und Wäldern aufzuhalten. Hunde sollten an der Leine gehalten werden. Grundsätzlich sei so ein Tier aber «menschenscheu». Man setze auf die Vernunft der Bevölkerung und darauf, dass sich niemand in unnötig in Gefahr bringe.
Das Tier sei auch noch an anderen Stellen gesichtet worden, sagte Faulstich, unter anderem in einem Ortsteil der Nachbarstadt Mücheln. Weitere Videoaufnahmen oder andere Belege gebe es zwar bisher nicht. «Aber wir nehmen das sehr ernst», so die Sprecherin.
«Mit 80-prozentiger Sicherheit handelt es sich um einen Puma», erläuterte Faulstich. Inzwischen suchen drei Teams mit Drohnen nach der möglichen Raubkatze. Sollte das Tier gesichtet werden, soll ein Experte das Tier betäuben. Anschließend soll es zu einem Zoo gebracht werden. Der Bergzoo Halle habe seine Zustimmung für eine Aufnahme bereits gegeben. Auch der Zoo in Aschersleben sei im Gespräch.
Niemand wisse derzeit, woher das Tier stammen könnte, hieß es weiter. Einen vergleichbaren Fall habe es in der Gegend bislang nicht gegeben. Derzeit gebe es keine Hinweise, dass aus einem Zoo oder einem Zirkus eine Wildkatze geflüchtet sei. Auch alle bekannten Tierhalter seien angefragt worden. Deshalb gehe das Landratsamt von einer möglicherweise illegalen Haltung des Tieres aus, so Dezernentin Faulstich.
Nach Angaben des Landkreises war in den vergangenen Tagen ein Kalb in der Nähe des Sees gerissen worden. Der Kadaver werde nun genauer untersucht, um die Frage zu beantworten, ob das Tier von einer Raubkatze getötet wurde.
«Leider ist das Videomaterial so schlecht, dass eine schlüssige Auswertung nicht möglich ist», sagte der Sprecher des Bergzoos Halle, Tom Bernheim. Der Zoo habe, wie andere Einrichtungen ebenfalls, das Videomaterial gesichtet. «Vom Videomaterial kann man höchstens sagen, es könnte eine Großkatze, ein Raubtier sein.» Jede andere Aussage wäre unseriös. Die Aufnahmen seien aus großer Entfernung aufgenommen. Der Zoo stehe mit den zuständigen Behörden im Saalekreis in Kontakt.
Die Suche nach dem mutmaßlichen Raubtier hat erneut eine Diskussion über die Haltung gefährlicher Tiere entfacht. Eine deutschlandweit einheitliche rechtliche Regelung über den Umgang mit gefährlichen oder giftigen Tieren gibt es nicht. Während viele andere Bundesländer gesonderte Verordnungen zu sogenannten Gefahrtieren aufgestellt haben, fehlen nach Angaben des unabhängigen Artenschutz-Instituts Aspe vom April 2024 in Sachsen-Anhalt solche Spezialregeln. Ausschlaggebend sind hier allerdings bundes- und europaweite Vorgaben.
Auch in Sachsen-Anhalt bestehen daher grundsätzlich für alle besonders und streng geschützten Tiere Besitz- und Vermarktungsverbote, von denen im Einzelfall Ausnahmen nachzuweisen sind. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz gibt es Ausnahmen, insbesondere für legal gezüchtete oder mit Genehmigung eingeführte Tiere.
Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten kritisiert seit langem, dass in einigen Bundesländern die Haltung auch potenziell gefährlicher Tiere erlaubt sei. «Die Haltung solcher Tiere soll nicht stattfinden», sagte Thomas Pietsch, Wildtierexperte von Vier Pfoten. Es brauche spezielles Wissen, und es gebe gewisse Haltungsanforderungen, die Privatpersonen nicht leisten könnten. Die Politik tue sich seit Jahren schwer, hier entsprechende Verbote zu erlassen. In anderen Ländern, wie etwa den Niederlanden oder Belgien, gebe es dagegen gute Erfahrungen mit gesetzlichen Regelungen, welche Tiere unter welchen Bedingungen gehalten werden dürften.
Die Tierrechtsorganisation Peta hat eine Belohnung in Höhe von 500 Euro für Hinweise ausgesetzt, die den Halter oder die Halterin zweifelsfrei identifizieren. «Sogar Großkatzen wie Tiger und Löwen sind im Internet käuflich erwerbbar und in vielen Bundesländern, darunter Sachsen-Anhalt, dürfen sie legal privat gehalten werden», sagte Peter Höffken, Fachreferent bei Peta. Zum Schutz von Mensch und Tier forderte er ein generelles Haltungs- und Verkaufsverbot von Wildtieren.
Bereits vor vier Jahren hatte es im Süden Sachsen-Anhalt einen Zwischenfall mit einem Raubtier gegeben. Ein Model war bei einem Fotoshooting auf einem Gnadenhof von einem Leoparden angegriffen und mehrfach in den Kopf gebissen worden.
Im Sommer vor knapp zwei Jahren sorgte ein ähnlicher Vorfall in Kleinmachnow bei Berlin für Aufsehen: Dort jagten Polizei, Jäger und Tierärzte rund 30 Stunden lang samt Hubschrauber und Drohnen eine vermeintliche Löwin – ausgelöst durch ein Handyvideo. Die internationale Aufmerksamkeit war groß, am Ende stellte sich das angebliche Raubtier als Wildschwein heraus. Der Vorfall hatte bundesweit für Debatten über den Umgang mit gefährlichen Tieren zur Folge.
© dpa-infocom, dpa:250617-930-679403/5