Weihnachtsgrüße

Wo ein Baumstamm Geschenke „scheißt“

Iris und Marcus Zimmermann freuen sich auf ihr viertes Weihnachtsfest unter spanischer Sonne.

Wenn die Heiligen Drei Könige, Los Reyes Magos, kommen, ist das ein großes Spektakel. Foto: privat

Seit drei Jahren leben wir nun in Castelldefels, einem spanischen Küstenort mit rund 67.000 Einwohnern, etwa 20 Kilometer südwestlich von Barcelona an der Costa del Garraf. Drei Jahre gefüllt mit vielen Erlebnissen, Erfahrungen, neuen Erkenntnissen, Veränderungen und bereichernden Begegnungen. Eine Zeit, die so manches Unbekanntes und Unvertrautes in Vertrautheit und sogar Gewohnheit umgewandelt hat.

So blicken wir mittlerweile unserem vierten Weihnachtsfest unter der spanischen Sonne entspannt entgegen und freuen uns sehr auf Weihnachten mit unseren Kindern. Gerne schicken wir wieder unsere Weihnachtsgrüße von hier aus in unsere alte Heimat (fast schon eine Tradition) und berichten aus unserem Leben hier in Katalonien.

Wenn die Stadt zum ersten Mal im weihnachtlichen Glanz erstrahlt – „Castelldefels se ilumina de Fiesta“ –, wird das mit einem großen Festprogramm für die ganze Familie auf dem Rathausplatz gefeiert. Die Aktivitäten und Angebote sind vielfältig. So gibt es Zauber- und Zirkusshows, Konzerte, Tanzvorführungen und heiße Schokolade für alle.

In der ersten Dezemberwoche geht es dann weiter mit der „Fiesta“ bis zum 8. Dezember, dem offiziellen Beginn der Vorweihnachtszeit mit dem Feiertag Mariä Empfängnis.

Aber nicht nur zur Weihnachtszeit werden zahlreiche Aktivitäten zum Feiern und Genießen angeboten. Nahezu das ganze Jahr hindurch werden Feste, „espectáculos“, und Veranstaltungen mit großem Engagement organisiert und durchgeführt. Nicht selten gibt es dann auch große Festumzüge, die an Karneval im Rheinland erinnern.

So haben wir am 6. Januar zum ersten Mal die Ankunft der „Reyes Magos“, der Heiligen Drei Könige, auf Kamelen am Strand miterleben können. Abends saßen die Könige dann auf prunkvollen Wagen und zogen mit einem riesigen Festumzug von der Burg bis zum Rathaus. Dort hatte jeder König seinen majestätischen Platz für die weihnachtliche Bescherung, und sie verteilten die Geschenke an die Kinder.

In Katalonien wird zu diesem Festtag der „Tortell de Reis“ verkauft. Es handelt sich dabei um einen ringförmigen mit Sahne oder Marzipan gefüllten Kuchen, der mit glasierten Früchten belegt wird. Im Inneren des Gebäcks befinden sich eine Königsfigur und eine Bohne. Die Person, die in ihrem Gebäck den König vorfindet, erhält eine Krone. Die Person, die die getrocknete Bohne findet, bezahlt das „Tortell“.

Iris und Marcus Zimmermann leben in Castelldefels, einem spanischen Küstenort südwestlich von Barcelona. Foto: privat

Ein weiterer katalanischer Weihnachtsbrauch ist der „Tió de Nadal“. Der „Tió“ ist ein Baumstamm, der üblicherweise mit zwei Holzbeinen, lächelndem Gesicht und einer roten Mütze ausgeschmückt wird. Ab Mariä Empfängnis bis Weihnachten wird der „Tió“ von Kindern mit Obst, Süßigkeiten, Schmuck oder Spielzeug „gefüttert“ und mit einer Decke zugedeckt. Am 24. Dezember, zwischen dem festlichen Familienessen und der Christmette, erzählen die Eltern, die kleine Geschenke unter der Decke versteckt haben, dass der Baumstamm Geschenke „scheißt“, wenn die Kinder die Decke abdecken. Vorher singen sie ein Lied und schlagen mit Stöcken auf den Baumstamm. Den „Tió“ sieht man nahezu in allen Schaufenstern und auch in Wäldern oder kleinen Gärten.

Als wir im vergangenen Jahr unseren Weihnachtsbaum auf einem Familienbauernhof in Dosrius, im Nordosten Spaniens, kauften, konnten wir einen riesigen Tió bestaunen. Der Verkäufer führte uns die Tradition vor. Während wir mit Stöcken auf den Baumstamm schlugen, sang er uns das gesamte Lied vor. Die kleinen Geschenke allerdings waren den Kindern vorbehalten.

Ohnehin zeichnet sich Katalonien durch viele interessante Traditionen und Bräuche aus, auf die die Bevölkerung großen Wert legt und dementsprechend pflegt und lebt. Die „Sardana“ beispielsweise ist ein Volkstanz, an dem jeder teilnehmen kann. Er wird in jede große Fiesta mit eingebunden und ist zu einem beliebten Ausdruck der Identität, Einheit und Kultur der Katalanen geworden. Unter General Francisco Franco war das Tanzen der Sardanas sogar eine Zeit lang verboten. Vielleicht ist der Tanz auch gerade deshalb beliebt, weil er eine jahrhundertealte Geschichte hat und sich trotz Anfeindungen und Verbote zu Zeiten der Diktatur zu einem Symbol der katalanischen Identität entwickelt hat. Ebenso sind die „Casteller“, die Menschentürme, Teil der kulturellen Identität, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und bei großen Festen zu bestaunen sind.

Eine charakteristische gastronomische Tradition ist das Trinken von Wermut, ein mit Gewürzen und Kräutern aromatisierter Likör. Ob man eine süße, bittere oder gar pikante Variante bevorzugt, ist Geschmacksache. Das Wichtigste ist der „Vermuteo“, das Ritual zur Zusammenkunft am Mittag, in deren Mittelpunkt der Wermut steht und die heute als ein soziales Phänomen angesehen wird.

Aber nicht nur am Mittag, sondern auch zu anderen Tageszeiten können wir dieses Ritual beobachten. In unserem katalanischen Chor „Coral Montau Begues“, in dem wir seit einem Jahr singen, darf beispielsweise der Wermut in der Pause oder zu anderen Gelegenheiten nicht fehlen.

Überhaupt stehen die Geselligkeit, der rege Austausch und die Gemeinschaft im Vordergrund. Auch werden gerne Emotionen geteilt. So wurde die Chorgemeinschaft zum Beispiel von zwei Chormitgliedern bereits im November eingeladen, ihre Freude darüber zu teilen, dass sie im April Großeltern von Zwillingen werden. Sie ließen die Sektkorken knallen, reichten dazu Wermut und die klassische „Coca“, einen der bekanntesten und beliebtesten Blechkuchen Kataloniens.

Die „Coca de San Juan“ (Johanniskuchen) wird traditionell zur berühmten Johannisnacht („la mágica noche de San Juan“) zubereitet und darf in keinem Haushalt fehlen. Allerdings werden diese Kuchen in der Regel beim Bäcker gekauft und kosten zu diesem Fest beachtliche 25 Euro.

Der „Tio de nadal“, ein hübsch dekorierter Baumstamm, ist an vielen Orten zu finden. Foto: privat

Dass in spanischen Haushalten sehr selten gebacken wird, überraschte uns sehr. In den Supermärkten gibt es auch keine Backabteilungen. Vor unserem ersten Weihnachtsfest haben wir uns noch Zutaten für Plätzchen aus Deutschland schicken lassen. Man wird mit der Zeit auch erfinderisch oder besser gesagt: weniger wählerisch. Mittlerweile wissen wir, wo es was gibt und bringen dementsprechend Zutaten aus Deutschland mit. Aber ein einfacher Apfelkuchen lässt sich immer backen und es ist eine riesige Freude für uns zu erleben, wie spanische Freunde den selbst gebackenen Kuchen loben und genießen können. Das ist ein wahres Highlight.

Zu unserem vorweihnachtlichen Ritual werden wir wieder gemeinsam mit ganz Spanien am 22. Dezember vor dem Bildschirm sitzen und das landesweite TV-Event der spanischen Weihnachtslotterie „El gran sorteo de navidad“ verfolgen.

Traditionell teilen Familien, Freundesgruppen, Belegschaften, Vereine und ganze Dorfgemeinschaften ein Los und setzen somit auf ein und dieselbe Nummer.

Es geht also hierbei nicht für den Einzelnen um einen Millionen-Gewinn, sondern eher darum, mit einem kleinen Einsatz eines zum Beispiel Hundertstel-Loses einen geteilten Gewinn zu erzielen und sich gemeinsam zu freuen. Das spanische Fernsehen berichtet regelmäßig über diverse Gewinnergemeinschaften – frei nach dem Motto „geteilte Freude ist doppelte Freude“.

Wir wünschen allen ein geruhsames, fröhliches und vor allem friedliches Weihnachtsfest.

Iris und Marcus Zimmermann

Zur Startseite