NECKARTENZLINGEN. Die zunehmende Vermischung der digitalen virtuellen Welt mit der echten menschlichen Realität war das spannende Thema eines Vortrags, den der Medienpädagoge Prof. Edwin Hübner kürzlich in Neckartenzlingen hielt. Hübner schloss seine Rede mit einem eindringlichen Appell zur Schätzung der Menschenwürde jedes anderen „selbst wenn der andere Mensch eine der meinigen komplett gegensätzliche Auffassung über ein Thema hat“. „Wichtig ist, was im Herzen geschieht: Fürsorge und Mitgefühl“, betonte er. Heute aber bestehe die Gefahr, dass Menschen sich zu sehr in einer virtuellen Welt bewegen, die Menschlichkeit aus dem Auge verlieren und über kurz oder lang „ein Brett vor dem Kopf“ haben.
Anlass für die Sorgen Hübners ist die Entwicklung einer virtuellen Welt, wie sie derzeit von Software-Konzernen entworfen wird. Apple stellte 2023 sein Projekt „Vision Pro“ vor: Ein neues Headset, auch „Mixed-Reality-Brille“ genannt, die mit mehreren Mikrofonen und zwölf Kameras ausgerüstet ist, die unter anderem die Bewegung der Augen, der Hände und der Finger verfolgen. Mit ihnen kann das Bildprogramm ohne Tastaturen, ohne Mäuse und ohne Gamecontroller gesteuert werden. Die technologische Entwicklung zielt darauf ab, die digitale mit der physischen Welt zu „verschmelzen“. Mithilfe einer im Gehirn implantierten künstlichen Intelligenz (KI) soll man bald nicht mehr auf den Bildschirm schauen, sondern dort selbst mitten drinnen sein und sich dabei wohlfühlen. Mark Zuckerberg nenne das Ziel „Metaverse“ und habe Facebook deshalb „Meta“ genannt.
Damit würden Techniken entwickelt, die den Menschen „von der Welt und von sich systematisch entfremden“. Es bestehe die Gefahr, dass Computersysteme mit künstlicher Intelligenz „das Denken des Menschen ersetzen“. Menschen würden zu „Gefangenen der Maschine“. Hübner zitierte den Arzt und Psychotherapeuten Joachim Bauer. „Man hilft uns so lange beim Denken, bis wir nicht mehr denken können.“ Hübner wies darauf hin, dass die Wahrnehmung der Welt stets mit vielen Sinnen zugleich geschieht, auch wenn manches unbewusst abläuft. Wenn aber das Auge in einen virtuellen Helm blickt, werde seine Wahrnehmung von der übrigen Sinneswahrnehmung des Körpers getrennt. Der „sensomotorische Organismus“ könne dabei deformiert werden.
Für Kinder, deren sensomotorisches System sich erst noch ausbildet, sei jeder ausgedehnte Medienkonsum schädlich. Kinder müssten die Welt unbedingt mit ihren natürlichen Sinnen erfahren, um kompetent fürs Leben zu werden. Ihre Sinne müssen nach Hübner mit der realen Welt kommunizieren. Nur so könnten sie angemessen sehen, hören und denken lernen. Bei mehr als 25 Prozent der Zehn- bis 17-Jährigen habe eine Studie der DAK-Krankenkasse „eine riskante und pathologische Nutzung sozialer Medien“ festgestellt. Die Mediensucht sei heute deutlich höher als noch vor fünf Jahren. Die Vermischung von realer Welt und virtueller Welt sei ein Angriff auf das wahre Menschsein und die menschliche Würde.