Neckartenzlingen

Soziale Medien unter die Lupe genommen

NECKARTENZLINGEN. „Alles in den Sozialen Medien läuft darauf hinaus, die Menschen von diesen Plattformen abhängig zu machen.“ Davon ist der Ulmer Psychologe Professor Christian Montag überzeugt. Um mehr Werbung zu verkaufen, unternehme die digitale Industrie alles, um die Verweildauer der Menschen auf ihren Plattformen zu verlängern. Solange die Industrie dieses Konzept verfolge, werde es „keine gesunden Plattformen geben“, sagte der Wissenschaftler bei einem Vortrag in Neckartenzlingen. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Geschäftsmodellen der Sozialen Netzwerke, hat darüber auch Bücher geschrieben und vertritt die Meinung, dass wir Alternativen zu den sozialen Medien der Tech-Riesen brauchen.

Durch die Verlängerung der Online-Zeiten auf den Sozialen Medien seien die Großunternehmer der digitalen Technik in den vergangenen Jahren „brutal reich geworden“. Mithilfe von Algorithmen ließen sie „digitale Fußabdrücke“ von allen Nutzern herstellen, um sie mit passender Werbung und passenden Informationen gezielt anzusprechen. Daraus sei ein „Überwachungs-Kapitalismus“ entstanden, der zunehmend Falschmeldungen einsetze, weil die sich schneller verbreiten als korrekte Informationen und die Wahrheit. Heute seien schon etwa fünf Milliarden Menschen auf einer der problematischen Social-Media-Plattformen unterwegs.

Eine Folge davon sei, dass auch in den Mainstream-Nachrichten (Zeitungen, Rundfunk, Fernsehen) immer mehr negative und emotionale Meldungen verbreitet würden, um auch dort mehr Geld zu erwirtschaften, sagte Montag weiter. Schlagzeilen mit positiven Untertönen würden immer seltener. Falsche Bilder und falsche Videos machten das Problem in allen Medien noch größer.

Hinter der Entwicklung steht nach Erkenntnis des Psychologen das natürliche Bedürfnis der Menschen nach Unterhaltung, nach sozialem Austausch, nach Belohnung und bei vielen auch der Wille, Macht über andere auszuüben. In jeder freien Minute nähmen viele schon ihr Smartphone in die Hand und bemerkten gar nicht mehr, wie ihnen auf diese Weise eine andere, sinnvollere Lebenszeit entgleitet. Man habe es hier vielfach mit einem erheblichen „Realitätsverlust“ zu tun. Es komme vielfach zu einer „suchtähnlichen Nutzung“.

Dringend notwendig sei es, „gesündere“ soziale Medien zu schaffen, Kinder besser zu schützen und alternative, eventuell öffentlich-rechtliche Plattformen zu schaffen, auf denen die Rechte der Menschen besser geschützt werden. An den Schulen sollte es ein flächendeckendes Smartphone-Verbot bis zum 13. Lebensjahr geben. Herkömmliche Lernmethoden führten zu deutlich besseren Schulleistungen als der allzu frühe intensive Umgang mit digitalen Medien. Für eine gesunde Entwicklung kindlicher Gehirne und für die Erwerbung sozialer Kompetenzen sei ein Schwerpunkt auf körperlich betonte Spiele unverzichtbar.

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