Günther Wolf, NT-Neckarhausen. Das Märchen von der Erziehung der Verkehrsteilnehmer könnte sich so lesen: Es war einmal eine Straßenbaustelle, die in einen gleichzeitig zu sanierenden Tunnel führte. Durch unvorhergesehene Mängel im Tunnelbereich – so las man – würde sich die Sperrung der Strecke um ungefähr drei Monate verlängern. Nun wäre dies für die betroffenen Menschen aus nah und fern noch nichts Außergewöhnliches gewesen, da sie solche Unbill schon häufiger in Kauf zu nehmen gewohnt waren.
Aber es gab da ja noch eine kleine Nebenstraße entlang einer Bahnlinie als Ausweichstrecke. Diese war zwar schon vor solcher Nutzung in einem sehr verbesserungswürdigen Zustand, den man aber wohl vor der Einrichtung der Baustelle nicht ändern wollte. Denn dadurch konnte man auf wundersame Weise zweierlei auf einen Streich erledigen: Die Ausweichstrecke konnte als Maßnahme zur Verkehrserziehung dienen! Der marode, mit gefährlichen Löchern übersäte Straßenrand würde nämlich die Verkehrsteilnehmer zu langsamer und vorsichtiger Fahrweise zwingen; dies wurde noch durch in die Fahrbahn ragende Warnbaken und eine nachträgliche 30-km/h-Beschränkung unterstützt. Denn welcher Verkehrsteilnehmer würde sich getrauen, die Straße noch weiter zu beschädigen oder die Warnbaken umzufahren und damit gegen das Gemeinwohl zu verstoßen.
Und sollte dies doch passieren, könnte jeder sein exzellentes Fahrkönnen – vor allem angesichts drohender Böschungen – beweisen, was auf normalen Straßen nicht möglich wäre. Und natürlich könnten sich die Ausweichstreckennutzer wegen möglicher winterlicher Straßenverhältnisse auf weitere tolle Situationen auf schnee- oder eisglatter Fahrbahn freuen, um ihr Können zu beweisen. Sollte es aber entgegen aller Erwartungen doch zu einem Unfall kommen, wäre einzig und allein das Unvermögen der Beteiligten schuld daran gewesen.
Leserbriefe | 03.05.2024 - 05:00
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