Weihnachtsgrüße

Zimtsterne schmecken auch im Juli

Bei Anna Richter in Argentinien entstehen aus argentinischer und deutscher Kultur neue Bräuche

Anna Richter lebt mit ihrer Familie in Argentinien.

Seit ich in Argentinien lebe, bin ich mir der Sitten und Gebräuche, die das Jahr in Deutschland prägen, viel stärker bewusst geworden. Eier färben und verstecken zu Ostern, Erdbeeren im Juni, Laternelaufen im Oktober oder Plätzchen backen im Dezember findet hier nämlich nicht statt. Dafür gibt es andere Traditionen, wie den besonderen Locro-Eintopf an den Nationalfeiertagen am 25. Mai und 9. Juli oder neuere Aktivitäten wie die Demonstration zum 24. März, an dem an die letzte Militärdiktatur erinnert wird und unter den Begriffen „Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit“ zu Demokratie und Freiheit aufgerufen wird. Deshalb überlege ich jedes Jahr aufs Neue, welche meiner Traditionen ich aufrechterhalten und weitergeben möchte und welche auf der Südhalbkugel in einer ganz anderen Klimazone und mit umgekehrten Jahreszeiten weniger Sinn machen.

In den letzten Jahren habe ich schon einiges ausprobiert. Plätzchen backen ist im Dezember nur mit einer guten Klimaanlage möglich, ohne sich selbst und den Ofen zu überhitzen.

Im Juli hingegen, wenn es hier einstellige Temperaturen hat, wird die Schokoladenglasur auf den Lebkuchen auch außerhalb des Kühlschranks fest und Vanillekipferl und Zimtsterne schmecken nicht nur im Advent gut. Deshalb treffe ich mich fast jedes Jahr in der letzten Juliwoche mit Freundinnen zum Plätzchen backen. Ostereier zu färben und zu verstecken ist im argentinischen Herbst ein ebenso großer Spaß wie im deutschen Frühling, und meine Familie schickt mir zuverlässig neue Eierfarben, damit die argentinischen Nichten und Neffen sich an Ostern austoben können.

Ein weiteres Highlight war in den letzten Jahren das Verzieren von Pfefferkuchenhäusern an Weihnachten. Wir haben einen großen Tisch im Garten aufgebaut und nach dem Dekorieren konnten alle Schokoladespuren an Händen und Gesichtern im Pool abgewaschen werden. Dass es eine sehr gute Idee ist, das Verzieren von Pfefferkuchenhäusern in Badekleidung im Garten abzuhalten, können bestimmt alle nachvollziehen, die schon einmal versucht haben, ihren Teppich vor den unvermeidlichen Zucker- und Schokoladespuren zu schützen.

Dieses Jahr will ich einen weiteren Brauch einführen: den Adventskalender. Auf die traditionelle Schokoladenfüllung habe ich wegen der hohen Temperaturen zwar verzichtet, dafür kam mir hier eine argentinisch-mexikanische Tradition zugute: die Piñata. Dieser bunt verzierte Pappmaché-Ball wird mit vielen kleinen Figürchen und Bonbons gefüllt und dann bei Kindergeburtstagen zum Platzen gebracht, damit die ganze süße Pracht auf die Kinder herunterregnet. Das kostbare Innenleben der Piñata gibt eine sehr gute Adventskalenderfüllung ab und kann selbst bei uns auf dem Dorf in jedem Schreibwarenladen erworben werden.

So entstehen aus dem Zusammenspiel von argentinischer und deutscher Kultur neue Bräuche und Abwandlungen von alten Traditionen. Manches bleibt aber auch gleich: mein kleiner Sohn wollte am 1. Dezember alle Adventskalendertürchen auf einmal öffnen, so wie ich als Kind auch. Ich wünsche uns allen ein schönes und gemütliches Weihnachtsfest, mit all den Bräuchen, die uns freuen und uns einander näherbringen, seien sie neu oder alt, von hier oder von weit weg.

Anna Richter

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