Weihnachtsgrüße

Zur Einstimmung geht’s auf den Weihnachtsmarkt von Nagoya

Andreas Raab lebt und erlebt in seinem Auslandssemester die japanische Kultur – Die Weihnachtsfeiertage wird der Student in Hongkong mit Schwester und Schwager verbringen

Unterschiede zwischen Japan und Deutschland gibt es nicht nur, wenn es um Weihnachten geht.

Ende August ging mein Flieger. Etwa 30 Reisestunden und rund 9000 Kilometer später kam ich in meinem Zuhause für das kommende Jahr an. Die, für japanische Verhältnisse, Kleinstadt Nisshin (mit etwa 100 000 Einwohnern) liegt im direkten Einzugsgebiet der Millionenmetropole Nagoya in der Präfektur Aichi im Zentrum Japans.

Als ich mich vor etwas mehr als einem Jahr dazu entschied, zwei Semester meines Studiums in Japan zu verbringen, hatte ich nicht ansatzweise eine Ahnung, was das Land der aufgehenden Sonne für mich zu bieten hat. Im Vorfeld habe ich mich also über Japan informiert und dabei viele Artikel, Beiträge und Informationen über japanische Traditionen, die Kultur und die Menschen gefunden. Wer selbst bereits Erfahrungen mit Menschen anderer Kulturen machen durfte, weiß, dass die Erfahrungen, die man selbst macht, immer eine individuelle, ganz besondere Geschichte erzählen, und damit anders sind als Erzählungen aus Zeitungsartikeln, Dokumentationen oder Internet-Blogs.

Dass sich die japanische und die deutsche Kultur jedoch auf so enorme Weise unterscheiden, habe ich erst mit der Zeit erfahren. Ein kleines Beispiel aus dem täglichen Leben: Jedes hier in Japan verkaufte Fahrrad ist, wie auch in Deutschland, mit einer Klingel ausgestattet. Der große Unterschied zu anderen Kulturen ist jedoch, dass diese hierzulande grundsätzlich nicht benutzt wird. So kann es durchaus vorkommen, dass ich mich während des Laufens umdrehe und erst dann bemerke, dass ein Fahrradfahrer schon seit Minuten im Schritttempo hinter mit herschleicht und geduldig darauf wartet, dass ich zufällig an den Rand des Gehwegs laufe und er vorbeiflitzen kann.

Wie viele kulturelle Gepflogenheiten ist auch dies eine im Laufe der Zeit gewachsene Eigenart. Von einem meiner Dozenten habe ich erfahren, dass es eine Art ungeschriebenes Gesetz ist, an das man sich einfach hält. In den Monaten, die ich bereits hier lebe, habe ich bereits eine Vielzahl solcher mal kleinerer, mal größerer kultureller Unterschiede ausmachen und erfahren können. Durch die zahlreichen Workshops und Exkursionen, die von meiner Universität außerhalb der eigentlichen Vorlesungen angeboten werden, komme ich regelmäßig in den Genuss, die japanische Kultur erleben und leben zu können. Die Bandbreite reicht hier von japanischen Teezeremonien über traditionelle japanische Künste, wie das Origamifalten oder Töpfern, bis hin dazu, japanische Tradition – im wörtlichsten Sinne – am eigenen Leib zu erfahren. Hier hatten wir beispielsweise die Möglichkeit, einen Tag lang im traditionellen japanischen „Kimono“ die historische Altstadt von Inuyama zu erkunden.

Die vorweihnachtliche Stimmung wird in Japan im Grunde schon Anfang November eingeläutet, indem die Halloween-Dekoration in den Läden, wenige Tage nach dem 31. Oktober, bereits gegen Rentiere, Weihnachtsmänner und Mistelzweige ausgetauscht wird. Um die gemütlich-vorweihnachtliche Stimmung auch in meinem Wohnheim einkehren zu lassen, habe auch ich mir vor Kurzem eine kleine Plastiktanne mit Christbaumkugeln besorgt, die nun den Winterzauber in mein sonst recht karges Studentenzimmer trägt. Was darf zur perfekten Einstimmung auf die Weihnachtszeit nicht fehlen? Natürlich ein gediegener Weihnachtsmarkt. Und auch hierauf wissen die Japaner zu antworten: In Nagoya erstrahlt jeweils für zwei Wochen im Dezember der alljährliche Christkindlmarkt in allen weihnachtlichen Farben, Tönen und Gerüchen. Sonst findet man deutsche Worte nur, wenn es um das Thema „deutsches Bier“ geht, aber hier muss man nicht allzu lange suchen, um an einem der Marktstände auf einer deutschsprachigen Menükarte „Glühwein“, „Feuerzangenbowle“ oder „Bratwurst“ zu finden.

Weihnachten selbst, so wie ich es aus Deutschland kenne, wird hier allerdings nicht gefeiert. Die deutschen Feiertage sind in Japan normale Arbeitstage und Geschenke gibt es allenthalben im Rahmen von Wichtelaktionen an die Familie oder enge Freunde. Deftige, tagelange Gelage bei Verwandten und Familie über die Weihnachtsfeiertage sind hier ebenfalls eher die Ausnahme als die Regel, wobei es zunehmend gebräuchlicher wird, alternativ eine Weihnachtstorte zu backen und diese dann zusammen mit süßem Gebäck zu verspeisen.

Japan vereint viele Gesichter und Facetten. Einerseits kann man schnell eine buddhistische, traditionell-historische Seite ausmachen, die teilweise ein wenig ins Nationalistische geht. Auf der anderen Seite ist Japan jedoch ein weltoffener Vorreiter, wenn es um die Bereiche Hightech und Tourismus geht und versucht jeden Tag noch ein Stückchen attraktiver und interessanter für Touristen und Investoren aus der ganzen Welt zu werden.

Da das erste meiner beiden Auslandssemester bereits Mitte Dezember endet und die eigentlichen Weihnachtsfeiertage hier in Japan nicht wirklich gefeiert werden, nutze ich die Ferien, um mehr von Asien kennenzulernen. Die letzten Wochen vor meinem eigentlichen Semesterende konnten mich auf jeden Fall in weihnachtliche Stimmung versetzen, die ich dann um die Weihnachtsfeiertage selbst in Hongkong mit meiner Schwester und meinem Schwager zelebrieren werde. Aber eines kann ich definitiv jetzt schon sagen: In diesem Jahr ist Weihnachten für mich eine Erfahrung der ganz besonderen Art.

Liebe Grüße aus Japan und „merii kurisumasu“

Andreas Raab

Zur Startseite