Weihnachtsgrüße

Die buntesten, tollsten Gerichte – aber keines wird über 42 Grad erhitzt

Katrin Gehring macht eine Ausbildung zum Raw Gourmet Chef in Arizona – Dort erlebt sie Rohkost als Hilfsmittel, wie Yoga und Meditation, zur Erweiterung des Bewusstseins

Katrin Gehring weiß, dass Rohkost mehr ist als Möhrchen knabbern.

Dieses Weihnachten wird für mich ganz anders werden. Nix mit Weihnachtsgans oder Sauerbraten! Momentan befinde ich mich in Arizona, in einem Zentrum für ganzheitliche Gesundheit. Ernährung, Yoga und Meditation sind Grundsätze, um Voraussetzungen für Gesundheit zu schaffen.

Da mich das Thema Ernährung erstens seit früher Kindheit aufgrund vieler Allergien notgedrungen begleitet, und es zweitens wider Erwarten später zu meinem großen freiwilligen Interesse wurde, habe ich mich dort angemeldet. Na ja, so leicht tat ich mich dann doch nicht, denn hier befinde ich mich in einer gänzlich anderen Welt, das kann einem ja auch Angst machen. Doch manchmal muss man einfach über seinen Schatten springen. In wirklich schwierigen Entscheidungen frage ich mich immer: Was würde die 80-jährige Frau empfinden, die ich vielleicht mal sein werde, wenn sie auf ihr Leben zurückschaut und dieses oder jenes nicht getan hätte? Und dann weiß ich meistens sehr schnell und sehr genau, wie ich mich zu entscheiden habe.

Doch was ist so anders hier? Ich lebe vier Monate lang in einem Haus mit zehn anderen Menschen verschiedenen Alters, in einem Vierer-Zimmer. Das ist schon mal neu, denn zu Hause wohne ich allein. Hier wohnen die Leute, die entweder im Garten arbeiten oder mit mir zusammen die Ausbildung zum Raw Gourmet Chef machen (raw = roh).

Auch neu ist, dass ich vier Monate lang Rohkost esse, mindestens zu 80 Prozent. Rohkost mag sehr nach Möhrchen knabbern klingen, ist es aber nicht. Es bedeutet einfach, es wird nichts über 42 Grad erhitzt. Man kann die buntesten, tollsten Gerichte daraus zaubern, und entgegen mancher Vorstellung machen sie auch satt!

Es gibt Brote, Cracker, Kuchen, Dips, Desserts, Pilz-„Rahmgeschnetzeltes“, Buddhabowls, Lasagne und natürlich haufenweise Salat und Sprossen, um nur ein paar Dinge zu nennen. Das Essen ist nicht kalt im herkömmlichen Sinne, es ist zimmertemperiert oder leicht angewärmt. Es ist unglaublich lecker!

Wir haben Gäste, die fasten oder eine Entgiftungskur machen, sowie Leute mit Diabetes Typ 2.

Warum Rohkost? Zum einen bleiben natürlich alle Vitamine, Mineralstoffe, Enzyme und die Struktur des Wassers in den Pflanzen erhalten. Durch Hitze, chemische und auch mechanische Verarbeitung wird Obengenanntes mehr oder weniger vernichtet, sodass das Essen nicht mehr die Vitalstoffe liefern kann, die es eigentlich beinhalten würde, um dem Menschen Energie zu liefern und bei der Entgiftung von Umwelteinflüssen zu helfen. Hier wird auch unterschieden zwischen Lebensmitteln, die Leben schenken, und Nahrungsmitteln, die einfach satt machen, aber die uns nicht unbedingt viel nutzen, außer dass sie Kohlenhydrate (oft in Form von Zucker und Weißmehl), Fett (oft in Form von Transfetten) und Eiweiß (oft in Form von übermäßig vielen Tierprodukten) liefern. Die Rohkost hier ist glutenfrei, sojafrei, zuckerfrei und laktosefrei. Das ist fast automatisch der Fall, es braucht keine aufwändige Auseinandersetzung damit. Ich persönlich habe 2013 sechs Wochen lang roh gegessen, und das war eine sehr gute, energiegeladene Zeit. Grundsätzlich kann aber keine Ernährungsform ein langes Leben oder das Vermeiden von Krankheit versprechen. Es geht eher darum, Voraussetzungen für Gesundheit zu erschaffen, und dabei kann es gut sein, dass man manche Krankheit oder Symptome loswird. Aber es ist immer ein Prozess, ein Weg, auf dem man unterwegs ist. Man braucht zudem nicht zur Rohkost konvertieren wie zu einer Religion! Man kann einfach mal anfangen und sehen, was kommt. Bei mir ist es ein Auf und Ab. Ich bin nicht immer voll dabei. Aber ich bin auf einem Weg.

Hier im Zentrum wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Art der Ernährung für die persönliche ganzheitliche Entwicklung im Hier und Jetzt gedacht ist. Es gibt keine Deals mit Gott (oder wie auch immer man eine höhere Macht nennen mag), dass „Er“ einen dann länger leben lässt, weil man „brav“ gegessen hat. Doch wenn mein Körper sauber ist, weil er nicht mit Giften, fragwürdigen Fetten, Zucker und sonstigen Stimulanzien wie Alkohol oder Kaffee belastet ist, wird auch mein Verstand beziehungsweise Geist klarer, so die Beobachtungen des dortigen Arztes, der inzwischen 74 Jahre alt ist.

Ich finde das logisch. Manche Menschen verlieren zum Beispiel viele Ängste, weil es ihnen gesundheitlich besser geht, weil sie merken, sie können selber was tun.

Rohkost ist also ein Hilfsmittel, so wie Yoga und Meditation, um die Erweiterung des persönlichen Bewusstseins zu unterstützen und ein Leben zu führen, das nachhaltig ist und die Ressourcen schont. Ich bin sehr dankbar und froh, dass ich diese Ausbildung machen darf. Es ist noch nicht lange her, da war man nach dem Krieg froh, überhaupt etwas zu essen zu bekommen. Heute muss man dagegen aufpassen, dass man nicht an vollen Töpfen verhungert, weil das Essen in den vergangenen hundert Jahren enorm an Vitalität verloren hat. Angesichts des rasenden Fortschritts fühle ich mich in meiner Generation dafür verantwortlich, die Ressourcen zu schonen, die Folgen des schnellen wirtschaftlichen Wachstums etwas auszugleichen und die Antworten für Probleme und Krankheiten mehr eigenverantwortlich im eigenen Inneren als nur im Außen durch gesellschaftliche Systeme und Institutionen zu suchen. Ohne eigenen inneren Frieden kein Frieden im Außen. Alles hat Einfluss auf unser gesamtes System. Deshalb ist es meiner Meinung nach nicht egal, was wir denken, glauben oder tun, weil es Auswirkungen auf das Gesamte hat. Deshalb macht es für mich auch Sinn, bewusst mein Essen zu wählen.

An Weihnachten wird es wie an jedem Tag etwas Feines zu essen geben. Es gibt ein Entree, das im Dörrautomat auf 40 Grad erhitzt wird, so dass die Enzyme und Vitamine erhalten bleiben. Dazu kommt ein buntes Salatbuffet und ein Dessert.

Weihnachten wird hier nicht besonders hervorgehoben, es gibt zum Beispiel keinen Weihnachtsschmuck, weil Menschen aus verschiedenen Kulturen hier sind. Bestimmt wird es im täglichen Zusammenkommen vor der Meditation thematisiert, aber danach nicht explizit gefeiert. Der Arzt und Leiter des Zentrums ist jüdischer Abstammung, das könnte ein weiterer Grund sein. Das fällt mir aber nicht weiter schwer, weil es warm ist und wir uns hier in einer Wüstenlandschaft befinden. Hier in der WG werden wir wahrscheinlich wichteln. Egal wie es wird, bestimmt wird es ein sehr schöner Tag werden.

Ich wünsche allen ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest, besonders meiner lieben Familie und meinen Freunden.

Viele liebe Grüße von

Katrin Gehring

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