Leserbriefe

Wankelmütigkeit der Volksmeinung

Hartmut Schewe, Aichtal-Neuenhaus. Zum Leserbrief „Nur momentane Stimmungsbarometer“ vom 3. August. Ich werde nie begreifen, weshalb Herr Reinhardt die Namen der Briefschreiber nicht nennt, die er meint. Sei’s drum, darüber werde ich nicht spekulieren, das ist die Sache nicht wert – komisch ist es allerdings schon, und unhöflich dazu. In einer Sache kann ich ihm allerdings weitgehend zustimmen, nämlich der Wankelmütigkeit der Volksmeinung.

Ein durchaus realistisches Beispiel; Erdogan plant derzeit Ähnliches: Richard Jäger (CSU) setzte sich in den Sechzigern vehement für die Streichung des Artikels 102 Grundgesetz (Abschaffung der Todesstrafe) ein, was ihm den Beinamen „Kopf-ab-Jäger“ einbrachte. Auch die Möglichkeit der Volksabstimmung wurde ins Spiel gebracht.

Stellen wir einfach mal ein schlichtes Gedankenspiel in den Raum: Kurz vor dem Abstimmungstermin findet ein abscheulicher, sadistischer Kindesmord statt. Wie die Abstimmung dann ausgehen würde, dürfte klar sein. Anderes Szenario: Kurz vor dem Termin stellt sich heraus, dass ein wegen Mordes Verurteilter gar kein Mörder war, sondern 14 Jahre völlig unschuldig im Gefängnis saß. Familie weg, Kinder weg, die besten Jahre des Lebens weg, völlige Unsicherheit, wie es weitergehen soll. Entschädigung für die gestohlenen Jahre – lächerlich! Wie die Abstimmung dann wohl ausgeht?

Allerdings liegt Herr Reinhardt mit seinem letzten Beispiel, vermutlich als krönender Abschluss gedacht, total daneben. Dazu muss man die Weimarer Verfassung kennen. Die letzten trotz Nazi-Straßenterror einigermaßen freien Wahlen fanden im November 1932 statt. NSDAP 33 Prozent, DNVP neun Prozent, zusammen 42 Prozent (Zahlen gerundet). Am 30. Januar 1933 wurde Hitler vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt! Die nächsten Wahlen waren im März. NSDAP 44 Prozent, DNVP acht Prozent, zusammen 52 Prozent. Dazwischen brannte im Februar der Reichstag, was die Rechten propagandistisch exzellent zu nutzen wussten. Es bleibt die schlichte Erkenntnis, dass Hitler nicht von der Mehrheit der Deutschen gewählt wurde; er wurde gar nicht gewählt, sondern ernannt, auch hatte die Hitlerpartei nie die Mehrheit, sondern nur zusammen mit der DNVP. Wenn Herr Reinhardt schreibt „Es ist so einfach, ‚die Politiker‘ zu kritisieren; je weniger man sich vertieft informiert, desto leichter ist es“ ist ihm uneingeschränkt zuzustimmen. Nur sollte er sich selber auch daran halten. Bei der Kanzlerschaft Hitlers ist es ihm nicht gelungen. Es bleibt ihm noch die Möglichkeit, es bei der angeblichen Krim-Annexion zu versuchen, er würde völlig neue Welten entdecken – allerdings nicht in den westlichen Leitmedien.

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