Leserbriefe

Tote haben irdische Maßstäbe überwunden

Eberhard Ellwanger, NT-Reudern. Das Bürgerbegehren zu den Standorten für die geplanten neuen Flüchtlingsheime wird stattfinden. Bestimmt wird bis dahin viel diskutiert und geschrieben. Beides finde ich gut, denn Austausch ist wichtig für die Meinungsbildung. Gut finde ich auch den inzwischen vorwiegend sachlichen Ton in der öffentlichen Diskussion und dass in Reudern gegenüber dem Friedhof die geplanten Belegungszahlen nach unten korrigiert wurden.

Was mich persönlich stutzig macht, ist das Argument der Störung der Totenruhe und ebenso das Argument, die Flüchtlinge wären am Friedhof aufgrund ihrer Traumatisierung nicht gut aufgehoben. Wodurch wurden sie traumatisiert? Hat das irgendetwas mit dem Anblick unserer friedlichen Friedhöfe zu tun? Ich bin kein Trauma-Experte, aber es scheint mir weit hergeholt, dass eine Traumatisierung durch Vertreibung und extreme körperliche und psychische Gewalt durch den Anblick unserer Friedhöfe wieder aufbricht. Als Kind war dies für mich einer der friedlichsten Orte, trotz meiner erlittenen Verluste. Die Störung der Totenruhe durch Flüchtlinge ist mir ein noch größeres Rätsel. Ob wir zu denen gehören, die glauben, dass mit dem Tod alles zu Ende ist, oder zu denen, die einen Glauben an das Leben nach dem Tod haben, ist eigentlich egal. In beiden Fällen ist es nicht möglich, dass sich die Toten an Flüchtlingen, an deren Wäscheleine oder Musik stören. Sie haben die irdischen Maßstäbe überwunden.

Es sind doch vielmehr immer die Lebenden, die Angst vor dem Unbekannten haben! Ich glaube, wenn ich dereinst gestorben bin, wird es mich höchstens traurig machen, dass die Menschen lieber ihre Ängste gegenseitig schüren, als sich dem Neuen zu stellen. Auch mir wird es mulmig, wenn ich an einer Gruppe von dunkelhäutigen Männern vorbei muss. Aber ebenso, wenn ich eine Horde deutscher Jugendlicher von meinem Auto verscheuchen will, oder wenn ich in einen CSU-Stammtisch gerate . . . (Späßle). Also immer dann, wenn ich mich nicht mit den Menschen unterhalte, sie kennenlerne und versuche zu verstehen. Früher haben wir die Jungs aus dem Nachbardorf verhauen, weil sie uns fremd waren und „unsere“ Mädels poussieren wollten. Heute sind es andere Menschen, die scheinbar unsere Lebensart bedrohen. Egal wo sie hin sollen – immer stören sie einen Kindergarten, eine ruhige Wohngegend, ein Obstwiesle oder sonst was. Lernen wir sie kennen – die „Gefahr“ ist groß, dass es uns dann besser geht!

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