Leserbriefe

Nicht mit Betrügern in einen Topf werfen

Manuel Werner, Nürtingen. Zur Umfrage der Woche „Wie reagieren Sie auf Bettler und Spendensammler?“ vom 19. August. Statt beim Thema des untadeligen Artikels mit dem Titel „So dreist kassieren Betrüger-Banden ab“ zu bleiben, auf den sich die Umfrage bezieht, werden in manipulativer Fragestellung auch die legal handelnden Bettler in Nürtingen mit diesen Kriminellen in einen Topf geworfen.

Schon dadurch, aber auch durch den bloßen Abdruck von Meinungen, die auch falsche Aussagen enthalten, wie sie eben in klischeebehafteter, spontaner Volkes Stimme auch enthalten sind, erfolgt mal wieder eine mediale Breitseite gegen Bettler. Diese wurden durch die unseriöse Verknüpfung in der Frage hervorgekitzelt, postfaktisch schwarz auf weiß publiziert und somit undistanziert multipliziert und bei den Lesern aufgeladen.

Auch ich war früher der Ansicht, alle Bettler in Nürtingen bekämen ja Sozialhilfe, niemand müsse sich in Nürtingen Gedanken machen, wie er zu Essen kommt, jeder wäre grundversorgt, das Betteln erfolge ohne Not, nicht wirklich müsse jemand auf der Straße schlafen. Aber seit ich über viele Jahre nicht wenige Nürtinger Bettler gut kenne, weiß ich aus erster Hand, dass es unter ihnen auch solche gibt, die in Deutschland trotz Bedürftigkeit keine Sozialhilfe empfangen, die aus Not betteln, und die davon auch Essen kaufen, die sich über Essensspenden freuen, die nicht abends „in ein dickes Auto steigen“, denen es sehr erschwert ist, richtige Arbeit zu finden. Ich weiß, dass manche von ihnen auch in Nürtingen kein Obdach haben. Ich weiß, dass manche von ihnen darauf angewiesen sind, dass sie von „Doc Martin“ unentgeltlich und oft ohne versichert zu sein behandelt werden, der mittwochs mit seiner rollenden Praxis kommt. Nicht jeder von ihnen ist musikalisch.

Was haben diese Armen bitteschön mit betrügerischen und dreisten Spendensammlern zu tun? Dabei könnte man den Platz auf der ersten Seite des Lokalteils angemessener nutzen, indem man diese grundlegenden Fakten recherchiert und zumindest ebenfalls nennt, danebenstellt.

Mit ein paar Mausklicks könnte man zum Beispiel meinen mit einem Journalistenpreis ausgezeichneten Artikel „Vielleicht Gott wird helfen“ in der Straßenzeitung Trottwar oder präsentiert auf Webseiten finden, in dem ich die Situation eines bedürftigen Nürtinger Bettlers akribisch recherchiert habe. Genauso hätte man die Nürtinger Initiative AHOI oder kompetente Aktive des Tagestreffs Nürtingen nach der tatsächlichen Bedürftigkeit mancher Nürtinger Bettler fragen können, wie auch die Haupt- wie Ehrenamtlichen der Vesperkirche, denen ich die Situation dieser Ärmsten der Armen unter den Nürtinger Bettlern Anfang dieses Jahres nahegebracht habe. Aber nein, mal wieder werden sie schlechtgemacht und mit Betrügern in einen Topf geworfen.

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