Leserbriefe

Drohungen bringen uns nicht weiter

Kai Hansen, Nürtingen. Zu den Leserbriefen „Oh, diese Putin-Versteher“ vom 6. September und „Keine Unterstützung für die Faschisten“ vom 25. August. Das Verhältnis zwischen der EU, den USA und Russland ist dramatisch schlecht. Es herrscht eine babylonische mediale Verwirrung und jede Menge Eskalationsrhetorik, was die Einschätzung der Lage angeht. Das wird nicht zuletzt gesteigert, wenn bei einem NATO-Treffen in Wales schweres Kriegsgerät vor dem Tagungshotel aufgefahren wird und der politische NATO-Oberste Rasmussen seine Stunde als Kriegstreiber gekommen sieht.

Selbst der Bundespräsident macht bellizistische Außenpolitik, wenn er in Richtung Russland öffentlich verspricht: „Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen.“ – Mir scheint es schlimm, wenn in den Diskussionen hierzulande eine Schwarz-Weiß-Rhetorik Platz greift. In der einen Ecke die Faschisten in Kiew, in der anderen das schlimme Wort gegen die „Putin-Versteher“. Mit „Schlag“-Worten erzeugt man Gegner, die man auf diesem Wege mundtot machen möchte, wie zuletzt beim „Wutbürger“.

Ich möchte die beiden verdienten SPD-Politiker Dieter Auch und Peter Reinhardt und alle anderen Lager-Bewohner darum bitten, sich an den Begriff der europäischen Mitte-Politik, bei aller Anerkennung der Westbindung, zu erinnern. Unsere Mitte-Position verpflichtet zu Entspannungspolitik, nicht zum Mitheulen im Brustton moralischer Überlegenheit. Nicht die Religionen, sondern unser moralischer und ökonomischer Überlegenheitsgestus tritt als eine Ursache für viele Kriege hervor.

Kein Wohlstands-Argument rechtfertigt Kriegstreiberei. Ebenfalls rechtfertigt kein Wachstumsversprechen eine Vasallen-Position gegenüber expansiven und aggressiven Investoren-Gruppen. Das darf Politik nicht bestimmen.

Europa muss eine friedenbewahrende, um Ausgleich bemühte Mitte bilden oder es wird nicht bestehen können. Das ist unser Erbe, nichts anders. Wenn wir aus ökonomischem Expansionsdrang heraus unsere um Partnerschaftlichkeit ringende europäische Mittelstellung aufgeben, wenn wir also aufhören, für Fairness, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit zu kämpfen, dann helfen uns auch Drohungen und Waffenlieferungen nicht. Dann werden wir als Aggressoren wahrgenommen und zunehmend Gegenstand von ebensolcher aggressiver Ablehnung.

In der Folge schwingen sich alle möglichen Kräfte als Moralwächter auf, denn unsere Glaubwürdigkeit ist dann verspielt. Europa definiert Freiheit als die Wahrung der Freiheit der anderen. Und große Politik war immer um das Ideal bemühte Friedenspolitik.

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