Leserbriefe

Die ägyptische Revolution

Mohamad Azzam, Neuffen. Der ägyptische Widerstand zeigte, wie sich ein Volk durch friedliche Mittel von einem korrupten Diktator befreien konnte. Mehrere Hundert Zivilisten wurden von Regierungsmilizen getötet, Tausende verletzt, aber die Zustände, die Mubarak herbeiführte, erlaubten keinen Rückzieher. 75 Prozent der ägyptischen Bevölkerung gehören der Unterschicht an. Durchschnittlich lebt jede ägyptische Person von zwei Dollar am Tag. Die Arbeitslosenrate liegt bei 20 Prozent. Hoffnung und Perspektive sind für junge Menschen ein Fremdwort. In Kairo gibt es Menschen, die seit Generationen in Gräbern wohnen, zu arm, die hohen Mieten der Stadt zu bezahlen. Mit diesen Zuständen waren Demonstrationen vorhersehbar.

Ein Volk, das seit 30 Jahren von einer Politelite ausgebeutet und unterdrückt wird, hat keine andere Wahl, als seine Wut auf den Straßen kundzutun. Die ägyptische Regierung mit Mubarak als Präsident hungerte ihr Volk nicht nur aus, sondern verbot ihr jedes Recht. Meinungsfreiheit herrschte vielleicht zwischen vier unverwanzten Wänden, aber bestimmt nicht in Form von öffentlichen Diskussionen, von Versammlungen oder von einem richtig funktionierenden Parteiensystem. Dieses war zwar vorhanden, diente aber eher als Dekoration, um das Bild der ägyptischen „Demokratie“ in den Augen westlicher Regierungschefs aufrechtzuerhalten. Die regierende National„demokratische“ Partei bestimmte, wer bei den „Volkswahlen“ einen Sitz im Parlament bekommt und wer nicht. Die Wahlzettel hatten den gleichen Nutzen wie die Opposition, die seit den jüngsten Wahlen nur außerparlamentarisch zu finden ist. Sie dienten als vermeintlicher Beweis der ägyptischen Demokratie. Bei den letzten Wahlen, die vor ein paar Monaten stattfanden, bestätigte sich Mubarak als ein „vom Volk beliebter und geschätzter Herrscher“ mit über 90 Prozent der Stimmen. Auf diese Art wurden die letzten Oppositionsmitglieder aus dem Parlament verbannt, egal welcher Partei sie angehörten.

Absolutistische Züge findet man auch in der Geldpolitik Mubaraks. Die NDP, im Westen hoch angesehen, bediente sich reichlich in der Staatskasse. Als Mubarak 1981 Präsident wurde, beliefen sich die Staatsschulden auf zwölf Milliarden US-Dollar, heute, 30 Jahre später, sind es 800 Milliarden US-Dollar. Das Privatvermögen des Ex-Präsidenten wird auf 70 Milliarden geschätzt, das seiner Kinder ist aber auch nicht unerheblich.

Jedes politische Feld überließ Mubarak entweder einem seiner Kinder oder übergab es an enge Freunde. Diese Vetternwirtschaft ruinierte Ägypten und die Schulden wuchsen exponentiell weiter. Seine mehr oder weniger freiwillige Aufgabe des Präsidentenamtes ist ein Wendepunkt in der ägyptischen Geschichte. Jetzt hat das Volk die Macht, seinen Willen durchzusetzen und seine Rechte einzuklagen. Das geht aber nur, wenn die Regierungspartei vollständig abdankt und eine Übergangsregierung durch die Opposition gebildet wird.

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