Weihnachtsgrüße

Optisch und kulturell auf Weihnachten einstimmen

Clara Wolters verbringt ein Jahr an der California State University Chico – Dort erlebt die Nürtingerin die Waldbrände hautnah mit – Jetzt wird es langsam weihnachtlich

Nordkalifornien besticht mit seiner unglaublichen Natur: Hier ist Clara Wolters am weiten Humboldt Beach.

Mein Traum, für ein Jahr in Kalifornien zu studieren, ist wahr geworden. Mit Koffer und Geige habe ich mich im Juli 2018 von Deutschland verabschiedet und das Abenteuer Amerika begann. Die California State University Chico, an der ich für zwei Semester Englisch und Musik studiere, liegt im Inland Nordkaliforniens, drei Stunden mit dem Auto von San Francisco gen Norden. Chico ist eine Universitätsstadt mit vielen süßen Läden, grünen Parks, Restaurants und etlichen Bars, in denen die Studenten an den Wochenenden ausgelassen ihr Studentenleben genießen.

Generell sind die Menschen in Chico wirklich freundlich, hilfsbereit und auffallend gut gelaunt. Es ist nicht schwer, hier Freunde zu finden, da das Interesse der Amerikaner an anderen Kulturen und Lebensweisen groß ist, und nachdem man sich mit seinem deutschen Akzent sofort als Ausländer entpuppt hat, ist man schnell in Gespräche über Europa und Deutschland verwickelt. Der Lebensstil hier in Kalifornien ist, verglichen mit dem deutschen, sehr entspannt und unbeschwert. Geht man hier in einen Supermarkt, muss man an der Kasse zusätzlich Zeit einplanen, da fast jeder Kunde mit dem Kassierer noch über seinen bevorstehenden Tag redet, oder gar über die ganze Woche. Während ich als Nürtingerin Stress an den Kassen gewohnt bin und ungeduldig mit meinen Fingern auf das Fließband trommele, lässt sich der Kassierer hier nicht aus der Ruhe bringen und hilft jedem Kunden noch beim Einpacken der Produkte in Tüten.

Nach dem Einkauf kommt die eigentliche Challenge: mit einem Rucksack auf dem Rücken und zwei Tüten am Fahrradlenker nach Hause radeln. Den kalifornischen Studierenden bleibt das erspart, denn fast jeder hat ein Auto – kein Wunder, die Distanzen sind hier viel größer und öffentliche Verkehrsmittel sind unzuverlässig bis nicht vorhanden. Mit Kalifornien verbindet man lange Sandstrände, das ganze Jahr Sonnenschein und lässige Surfer und Skater; das trifft hauptsächlich auf Südkalifornien zu, wie San Diego und Los Angeles. Nordkalifornien hingegen ist für seine atemberaubende Natur, Seelöwen, Elche, endlos lange, verlassene Sandstrände und hübsche, kleine Küstenstädtchen bekannt. Die entspannte Lebenseinstellung der Menschen ist aber in ganz Kalifornien spürbar. Auch ich habe bis Anfang November bei 25 Grad und blauem Himmel mehrmals die Woche mit Smoothie und Musik am Pool meines Apartments gelegen und das Leben genossen – Kalifornien eben.

Kalifornien birgt aber auch Gefahren, wie Erdbeben oder Waldbrände. So kam es, dass ich am 8. November morgens von einem merkwürdig rötlichen Licht geweckt wurde. Irritiert bin ich auf die Straße gelaufen und habe zum Himmel geschaut: Er war rot-schwarz. Da wurde mir klar, es muss wieder ein Feuer ausgebrochen sein und die Rauchschwaden wurden mit dem Wind nach Chico geweht. Meine Mitbewohner waren aber ruhig und gelassen, da Waldbrände keine Seltenheit in Kalifornien sind. Deshalb bin ich wie gewöhnlich zur Universität geradelt, wo die Kurse zunächst noch stattfanden. Der Blick vom Campus aus war apokalyptisch: Der Himmel hinter den dunkelroten Mauern der Universität war eine Mischung aus Orange, Rot und Schwarz, die Sonne war von den Rauchschwaden komplett verdeckt und man konnte sogar das riesige Feuer selbst, das sogenannte Camp Fire, das in der Stadt Paradise (15 Meilen von Chico) ausgebrochen war, vom Campus aus sehen. Überall blieben Studierende stehen, um Fotos zu machen.

Im Laufe des Nachmittags fielen immer mehr Kurse und Klausuren aus, die Studenten wurden immer unruhiger. Das Feuer breitete sich schnell aus, da dieser Tag unglücklicherweise sehr windig war. Supermarktregale leerten sich, es bildeten sich endlose Schlangen an den Tankstellen und in der Stadt war so viel Verkehr, wie ich ihn noch nie zuvor in Chico gesehen hatte. Noch war das Feuer ein paar Kilometer von Chico entfernt, doch auch das konnte sich schnell ändern. Deshalb begannen wir unsere wichtigsten Dinge zusammenzupacken, um im Falle einer Evakuierung bereit zu sein.

Chico wurde zwar von den Evakuierungen größtenteils verschont, dennoch verließen meine Freunde und ich unsere Apartments noch am selben Abend, da wir großen Respekt vor dem Feuer hatten. Geplant hatten wir, nur für ein oder zwei Nächte wegzubleiben, bis sich die Situation beruhigt hatte. Das Feuer wurde aber zum verheerendsten Wildfire Kaliforniens; es zerstörte rund 14 000 Wohnhäuser in Paradise und viele Menschen kamen ums Leben. Viele Familien verloren alles. Es ist unvorstellbar.

Die Universität in Chico wurde für zwei Wochen geschlossen, unter anderem, da die Luftqualität in Chico so schlecht war, dass man mit Atemmaske herumlaufen musste. Meine Freunde und ich haben dann im Endeffekt zwei Wochen Nordkalifornien, Oregon und Washington erkundet, da wir nicht nach Chico zurückkehren wollten, wo die Luft als extrem schädlich eingestuft wurde. Nun ist Anfang Dezember, die Luft ist wieder in Ordnung und die Universität im vollen Gange.

Dennoch ist die jetzt beginnende Weihnachtszeit von den Folgen des Feuers geprägt. Überall werden für die Betroffenen aus Paradise Spenden gesammelt, es gibt zahlreiche Evakuierungszentren und Kirchen, die die sogenannten „Wildfire Refugees“ aufnehmen und manche Lehrer der zerstörten Schulen aus Paradise unterrichten ihre Schüler sogar in ihren privaten Küchen oder Wohnzimmern. Die Menschen hier helfen, wo sie können, Familien nehmen andere Familien auf, die nun ohne alles dastehen.

Gerade in der nun anbrechenden Weihnachtszeit sind diese Hilfsbereitschaft und der Zusammenhalt untereinander in der ganzen Stadt spürbar und hilft Betroffenen, neuen Mut zu fassen und nach vorne zu schauen. Weihnachtlich wird es auch optisch in Chico: Sororities und Fraternities, die amerikanischen Studentenverbindungen, die für ihre wilden Partys bekannt sind, schmücken ihre Häuser mit unzähligen bunten Lichterketten. Außerdem ist in Chico viel Kultur geboten; es gibt weihnachtliche Theaterstücke und viele Weihnachtskonzerte, an denen ich mit meiner Geige natürlich nicht fehle. Obwohl mein Jahr hier in Kalifornien eines meiner besten Lebensjahre ist und ich hier in Chico sehr glücklich bin, lerne ich das Leben in Deutschland mehr zu schätzen: Deutschland bleibt größtenteils von Naturkatastrophen verschont, Deutschland hat ein großartiges Ausbildungssystem ohne Studiengebühren, gut ausgebaute öffentliche Transportmittel und Deutschland hat, ganz klar, das beste Essen!

Ich möchte ein ganz liebes Dankeschön an Maria und Vio Egli aussprechen, denn damit ich an Weihnachten nicht alleine bin, schicken sie ihre Martina zu mir nach Kalifornien, wo wir Weihnachten dann in einer der aufregendsten Städte der Welt – San Francisco – verbringen werden.

An alle Nürtinger sende ich viele Grüße, vor allem aber an meine lieben Eltern, die immer für mich da sind und mich unterstützen, und auch an meine Geschwister.

Frohe Weihnachten!

Clara Wolters

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