Leserbriefe

Die Kehrseite der Medaille auch sehen

Gabriele Klink, Nürtingen. Zum Leserbrief „Warum greift der Staat nicht ein“ vom 4. Mai. Richtig, nicht wenige Mieter vertreten den Standpunkt „Mir passiert nichts! Greifen Sie doch einem nackten Mann (Frau) in die Tasche oder verklagen Sie mich“. Und es wird gefragt: „Warum nehmen der Staat und die Gesellschaft das so hin?“.

Wir hatten unsere möblierte Einliegerwohnung, 33 Quadratmeter, vermietet. Dann hatte der Mieter wohl einen Wasserschaden, nahm illegal und heimlich seine Freundin mit drei Vorschulkindern auf, ließ alle Rollläden herunter, lüftete nicht – und war nicht erreichbar. Unsere Kündigung ignorierte er: „Verklagen Sie mich doch, freiwillig ziehe ich hier nicht aus!“ Ein späteres Beratungsgespräch bei einem Rechtsanwalt, auf eigene Kosten (250 Euro), zeigte uns letztendlich unsere aussichtslose Lage.

Ah ja, die Wohnung durften wir natürlich nicht betreten! Acht Monate später landeten die Hausschlüssel nachts im Briefkasten, der Mieter war weg. Die Wohnung war ruiniert, die Möbel unten verfault, die Wände feucht und alles schimmelig. Eine Wohnungsräumung und dreimonatige kostenintensive Grundsanierung stand an.

Eine Sozialpädagogin unterschrieb danach den Mietvertrag, kündigte wenige Tage vor Einzug fristlos. Kündigungsfrist einhalten? Wozu. Vergiss es. Sie verbat sich jegliche Kontaktaufnahme und da war er wieder, der berühmte Tipp: Verklagen Sie mich doch! Und wieder Pech gehabt. Ein Einzelfall? Oh nein, fast die Hälfte der abgeschlossenen Mietverträge enden problematisch und ähnlich wie bei uns.

Solange Gesellschaft und Staat einfach wegsehen, Vermieter allein gelassen sind und auf den hohen Kosten sitzenbleiben, ohnmächtigem Stress ausgeliefert, darf man sich nicht wundern, wenn man lieber eine Wohnung leerstehen lässt. Auch Mietnomaden lachen sich dabei heimlich ins Fäustchen. Und dennoch verurteilen Staat und Gesellschaft einen Wohnungsleerstand, erwägen gar Zwangsmaßnahmen gegen unwillige mögliche Vermieter.

Eigentum verpflichtet – aber nicht unter diesen unsäglichen Voraussetzungen, welche allzu gerne als Einzelfall abgetan werden.

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