Kultur

Das Genie mit dem redlichen Gesicht - Hark Bohm ist tot

Ein erfolgreiches Duo: Hark Bohm und Fatih Akin haben mehrere Filmprojekte erfolgreich umgesetzt. Zuletzt die Verfilmung des Bohm-Buches «Amrum». (Archivbild) Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa

Filmemacher Hark Bohm hat der letzte Auftritt vor der Kamera an den Ort seiner Kindheit zurückgeführt. In dem Drama «Amrum» von Regisseur Fatih Akin spielte er auf der Nordseeinsel den alten Mann am Meer. 

«Amrum» war die Verfilmung eines autobiografischen Buches von Bohm, das letzte große und international erfolgreiche Projekt, an dem er mitgearbeitet hat. Der Film feierte im Mai dieses Jahres bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes (Frankreich) seine umjubelte Weltpremiere.

Ein halbes Jahr später ist der profilierte und engagierte Filmemacher nun tot. Der Regisseur, Autor, Produzent, Schauspieler und Hochschulprofessor ist am Freitag im Alter von 86 Jahren in Hamburg im Kreise seiner Familie gestorben, wie seine Tochter der Deutschen Presse-Agentur sagte. Bohm zählte zu den wichtigsten deutschen Autorenfilmern der Nachkriegszeit. 

Sein Coming-of-Age-Drama «Nordsee ist Mordsee» (1976), in dem zwei seiner angenommenen Söhne die Hauptrollen spielten, war herausragendes sozialkritisches Kino. Der Ausreißer-Film mit Soundtrack von Udo Lindenberg beeindruckt mit brutaler Realität: Minderjährige aus der Hochhaussiedlung stehlen, lügen und stechen sich mit Nadel und Kugelschreiber vor laufender Kamera echte Tattoos. Kindesmisshandlung wird in aller Wucht gezeigt. Manche Szenen sind so heftig, dass die Jugendschützer anfangs eine Freigabe ab 12 verweigerten, Millionen Teenager fanden ihre Welt in dem Film wieder.

«Mich interessiert das Erzählen von Geschichten», sagte Hark Bohm einmal. Damit grenzte sich der Filmregisseur und Drehbuchautor von vielen Kollegen seiner Generation ab, die ihre Werke avantgardistischer zu gestalten suchten. 

Bohm gelang das Kunststück, mit Produktionen wie «Nordsee ist Mordsee» (1976), «Moritz, lieber Moritz» (1978) sowie «Yasemin» (1988), wofür er den Bundesfilmpreis in Gold erhalten hatte, ein großes Publikum zu unterhalten - und gleichzeitig den Intellektuellen geistiges Futter zu bieten. 

Vor allem dank der Coming-Of-Age-Filme, zu denen bereits 1973 der Neo-Western «Tschetan, der Indianerjunge» gehörte, schrieb Bohm Kinogeschichte. Mit seinem einstigen Schüler Fatih Akin («Gegen die Wand») - heute selbst Meisterregisseur - verfasste er später das Skript zu dessen Verfilmung des Jugendromans «Tschick» von Wolfgang Herrndorf (2016). Auch das Drehbuch zu Akins international erfolgreichem NSU-Drama «Aus dem Nichts» mit Diane Kruger (2017) schrieben beide gemeinsam - ebenso wie das «Amrum»-Drehbuch. 

Bohm, ein studierter Jurist, initiierte er 1971 in München mit anderen jungen Kollegen den «Filmverlag der Autoren», der als Keimzelle des Neuen Deutschen Films gilt. Der Mann mit dem wettergegerbt, irgendwie zerknautscht, aber stets redlich wirkenden Gesicht bleibt nicht zuletzt als markanter Darsteller von Klein- und Nebenrollen in Erinnerung. Mehrfach arbeitete Bohm dabei mit der Regielegende Fassbinder zusammen. 

«Ich weiß nicht, warum ich Filmemacher geworden bin», sagte Bohm der dpa zu seinem 80. Geburtstag in seinem Haus in den Hamburger Elbvororten. Er fügte hinzu: «Ich frage mich aber, ob ein 'Sich-immer-fremd-fühlen' ein Motiv ist, Romane zu schreiben, Bilder zu malen oder Filme zu drehen. Weil man sich so die Welt immer neu aneignen muss.» 

Mit seiner Frau, der Produzentin Natalia Bowakow, hatte Bohm vier Adoptivkinder - darunter den Schauspieler Uwe Bohm (1962-2022) - sowie zwei Pflegekinder. Durch Erlebnisse mit ihnen ließ sich der begeisterte Vater immer wieder zu Kinogeschichten anregen. So spielte Sohn Dschingis die Titelrolle im Western «Tschetan, der Indianerjunge». Dschingis und Uwe bildeten auch das zunächst ungleiche Gespann im Drama «Nordsee ist Mordsee». 

Den Vater verkörperte darin Marquard Bohm (1941-2006), der jüngere Bruder des Regisseurs. Durch den renommierten Akteur («Angst essen Seele auf») und Autor Marquard war Bohm einst in die Filmbranche geraten - eher intuitiv und ganz und gar nicht rational durchdacht, wie er später betonte.

© dpa-infocom, dpa:251114-930-294601/1

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