Wissenschaft

Wie Musik bei Demenz helfen kann

An Demenz erkrankte Menschen lauschen im Würzburger Pflegeheim Marie-Juchacz einem Konzert. Monika Feldmeier/Nordbayerischer Musikbund/dpa
Eine junge Frau wirft Geld in ein Behältnis an einem Gehwagen einer älteren Dame, die in einer Unterführung singt. (Archivbild) Annette Riedl/dpa
Das Schüsselbund im Kühlschrank kann Hinweis darauf geben, dass ein Mensch eine Demenz entwickelt. (Archivbild) Karl-Josef Hildenbrand/dpa/dpa-tmn
Eine Frau hält die Hand ihres an Demenz erkrankten Mannes. (Archivbid Daniel Naupold/dpa
Der Nordbayerische Musikbund nutzt die Kraft der Musik, um Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen zu erreichen. Monika Feldmeier/Nordbayerischer Musikbund/dpa

«Alive inside» (Im Inneren lebendig) - ein Dokumentarfilm dieses Namens zeigt, was Musik bei Demenzkranken alles hervorholen kann. «Ich kann mich nicht mehr erinnern», sagt eine 90-jährige Frau auf die Frage, wie ihr Leben war. «Ich habe so viel vergessen. Es tut mir leid.» Doch nur kurze Zeit später sprudeln die Erinnerungen und Geschichten nur so aus ihr heraus. Sie hat inzwischen Kopfhörer auf und hört Musik von Louis Armstrong. Die Dokumentation von 2014 ist berührend.

Inzwischen ist die Kraft der Musik bei Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen wissenschaftlich belegt. «Es hat sich gezeigt, dass Musiktherapie die kognitiven Fähigkeiten bei Menschen mit Demenz verbessern kann», schreiben etwa die Autorinnen und Autoren einer bereits 2020 veröffentlichten zusammenfassenden Analyse von acht Studien. Bei diesen Menschen verbesserten sich demnach auch die wahrgenommene Lebensqualität direkt nach der Intervention sowie Langzeitdepressionen. Am wirksamsten war dabei Musikhören; doch auch Singen hilft der Analyse zufolge. 

Ein weiteres Team hat sich in einer 2024 veröffentlichten Studie allein auf Alzheimer konzentriert: Das Ergebnis lege nahe, dass die Behandlung mit Musiktherapie die Hirnleistung von Patienten mit Alzheimer-Krankheit verbessere, schlussfolgert es in der zusammenfassenden Analyse von elf Studien. So seien die Hirnleistung im Allgemeinen, das Reden, die Orientierung und das Gedächtnis besser geworden. Musiktherapie kann einer weiteren Meta-Studie zufolge bei Menschen mit Demenz auch gegen Unruhe helfen. Das Team hatte zwölf Fachartikel ausgewertet und das Ergebnis im Journal «Frontiers of Psychology» präsentiert. 

Die Erkenntnisse werden praktisch umgesetzt, etwa beim Nordbayerischen Musikbund (NBMB). Beim Projekt «Ein Lied für Dich» organisiert der Bund Mitmach-Konzerte für Menschen mit Demenz. «Bei unseren Konzerten waren Menschen im Publikum, die scheinbar auf nichts mehr reagiert haben. Bei altbekannten Liedern, die sie aus ihrer Kindheit kennen oder auch bei Weihnachtsliedern, da singen sie mit, urplötzlich können sie den Text. Das fasziniert schon sehr», berichtet eine Musikerin namens Ulrike, die mit ihrem Amateurensemble regelmäßig in Seniorenzentren spielt.

Zudem können sich Hobby-Musiker beim NBMB mit Sitz in Unterpleichfeld bei Würzburg in Workshops weiterbilden lassen, wenn sie Musik in Pflegeeinrichtungen bringen möchten. Er hat gemeinsam mit der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt zudem eine Anleitung zu entsprechenden digitalen Musikangeboten erarbeitet.

Die Zahl der Demenzkranken steigt weltweit. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO haben derzeit 55 Millionen Menschen eine Demenz. Diese Zahl werde bis 2030 auf 78 Millionen und bis 2050 auf 139 Millionen ansteigen, schätzt die Organisation. Obwohl Demenz als Alterserkrankung gilt, betrifft sie nicht nur Ältere. In bis zu 9 Prozent der Fälle tritt die Krankheit laut WHO vor dem Alter von 65 auf. 

Während Demenz früher in vielen Fällen als fast unausweichlich galt, gibt es nun immer mehr Hinweise darauf, dass sich die Erkrankung oft durch verschiedene Maßnahmen verhindern oder zumindest verzögern lässt. Als Risikofaktoren für Demenz gelten wenig körperliche Bewegung, Übergewicht und Diabetes, Rauchen und Alkoholkonsum, Bluthochdruck sowie soziale Isolation, Depression, geringe Bildung, Hirnverletzungen, Hörminderung und Luftverschmutzung.

Die sogenannte Lancet-Kommission zum Thema Demenz sorgte erst kürzlich mit einer neuen Einschätzung für Aufsehen. Dem internationalen Team zufolge lassen sich 45 Prozent aller Demenzfälle verhindern oder zumindest verzögern. Die Kommission listete zudem neben den 12 genannten potenziell vermeidbaren Risikofaktoren weitere 2 auf: Auch eine Behandlung des drohenden Seh-Verlustes sowie eines zu hohen Cholesterinspiegels kann demnach vorbeugend wirken. 

Demenz ist dabei ein Überbegriff für mehrere Erkrankungen, die Gedächtnis, kognitive Fähigkeiten und Verhalten beeinflussen kann. Alzheimer ist die häufigste Form. Laut WHO macht sie 60 bis 70 Prozent der Fälle aus.

Auf die Bedürfnisse der Alzheimer-Patientinnen und -Patienten soll der Weltalzheimertag am Samstag, dem 21. September, hinweisen. An dem Tag finden in vielen Städten und Orten Veranstaltungen wie Vorträge und Benefizkonzerte statt. Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft (Berlin) gibt es allein in Deutschland 1,8 Millionen Demenzerkrankte. «Auch wenn gegenwärtig eine Heilung der Krankheit nicht möglich ist, kann durch medizinische Behandlung, Beratung, soziale Betreuung, fachkundige Pflege und vieles mehr den Kranken und ihren Angehörigen geholfen werden», heißt es von der Gesellschaft. «Musik gilt als "Königsweg" zu den Demenzkranken», schreibt sie. 

© dpa-infocom, dpa:240920-930-237938/1

Zur Startseite