Weihnachtsgrüße

Wenn „Stille Nacht“ in zehn Sprachen erklingt

Iris und Marcus Zimmermann leben seit zwei Jahren in Katalonien. Dank Singen im Chor, Tanzen, Sprachkurs und toller Nachbarschaft haben sie schon einige Freunde gewonnen.

Bon Nadal aus Katalonien Iris & Marcus Zimmermann

Unsere ersten Weihnachtsgrüße schickten

wir 2020, als das erste Weihnachtsfest in unserer neuen Heimat Castelldefels, 20 Kilometer südwestlich von Barcelona, noch vor uns lag. Wir berichteten unter anderem von der eher ruhigen Vorweihnachtszeit, von katalanischen Traditionen und vom Höhepunkt mit Tradition in Spanien: die spanische Weihnachtslotterie „El gran sorteo de navidad“.

Ganz Spanien verfolgt am 22. Dezember wieder gespannt die Ziehung der Lotterie und hofft, den Hauptgewinn „El Gordo“ (der Dicke) abzusahnen. Die Ziehung der „Lotería de Navidad“ ist ein landesweites TV-Event und wird live in voller, nahezu „quälender“ Länge aus dem Teatro Real in Madrid übertragen und kann in jeder noch so kleinen Bar verfolgt werden. Aus überdimensionalen goldenen Lostrommeln ziehen Kinder die Kugeln mit den Gewinnnummern. Aus einer Trommel zieht ein Kind eine Kugel, auf der steht, welcher Gewinn verkündet wird, und aus einer zweiten die prämierte fünfstellige Nummer. Nun kommt die stimmungsvolle Besonderheit dieses Spektakels: Die Zahlen werden von den Kindern in hohen Tönen gesungen und am Ende erklingt ein langgezogenes „Euuuuroooo“.

Ein komplettes Los kostet 200 Euro, gekauft wird aber meistens ein Zehntel-Los („décimo“) oder nur eine Beteiligung daran. Familien, Freundesgruppen, Belegschaften, Vereine und ganze Dorfgemeinschaften setzen somit auf ein und dieselbe Nummer.

Dieses Gemeinschaftserlebnis habe ich in diesem Jahr im katalanischen Chor „Coral Montau Begues“ erleben können. Kaum war ich nach der herzlichen Aufnahme dem Verein aus Begues beigetreten, hatte ich die ersten Lose, die zusätzlich noch soziale Einrichtungen unterstützen, in der Chormappe. Auf meiner Suche nach einem Chor war ein Kriterium: alles außer Catalan.

Doch je länger wir hier in Katalonien leben, desto mehr müssen wir eingestehen, dass wir nicht um die katalanische Sprache herumkommen. Wir lernen weiterhin Spanisch (castellano) in einer Sprachschule und können uns damit überall verständigen, aber die katalanische Sprache begegnet dir überall – seien es Dokumente, Anmeldungen, lokale Zeitungsberichte oder einfach nur Hinweis- und Informationsschilder.

Seit Anfang Oktober proben wir im Chor katalanische Weihnachtslieder, die in einem „Concert de Nadal“ (Weihnachtskonzert) eine Woche vor Weihnachten zusammen mit anderen Chören aus Begues in der Església Sant Cristofol zum Besten gegeben werden. Außerdem begleitet der Chor mit katalanischen und lateinischen Liedern die „Missa del gall“ (Mitternachtsmesse) zu Heiligabend. Somit wird unser diesjähriges Weihnachten eine Mischung aus deutscher und katalanischer Tradition, weil die gesamte Familie die katalanische Messe besuchen wird.

Nicht nur die herzliche Willkommenskultur des katalanischen Chores und die Leichtigkeit und Freude der singenden Menschen beeindrucken, sondern auch die Probenzeiten, die sehr gewöhnungsbedürftig sind. Die Probe beginnt erst um 21.30 Uhr und endet um 23.30 Uhr. Um 22.30 Uhr wird eine Pause für den anregenden Austausch und das Verteilen von Süßigkeiten eingelegt.

Kommunikation ist in allen Lebenssituationen extrem wichtig in Spanien. Nicht nur in Vereinen, sondern auch in der Frühstückspause am frühen Morgen in einer der vielen Bars – von denen viele nur Außenplätze bieten – und auch am Nachmittag und Abend zum „tomar algo“ (etwas zusammen trinken). Dieses Sitzen im Café oder in der Bar kann schon mal zwei Stunden oder länger dauern bei nur einem „Café solo“, einem Rotwein oder einem Bier. Und niemand nimmt Anstoß, dass der Tisch „blockiert“ wird.

Diese Entspanntheit und Freundlichkeit dürfen wir auch beim Anstehen erleben. Kein mürrisches Gesicht, keine Unzufriedenheit und Ungeduld. Das Anstehen wird auch gern als Kommunikationsanlass genutzt. Zeit hat einen anderen Stellenwert. Es ist immer Zeit für ein freundliches Lächeln und Grüßen, für einen Smalltalk, aber auch für längere Beschreibungen und Erklärungen. Vor allem für Handwerker, Personal hinter Theken, in der Gastronomie und im Lieferservice und Angestellte in Geschäften ist man in dem Moment der wichtigste Mensch und wird oft mit Kosenamen wie „guapa“ (Hübsche) oder „cariño“ (Liebling, analog zu Schatz) angesprochen, begrüßt oder verabschiedet.

Nach über zwei Jahren können wir sagen, dass wir uns in Spanien sehr willkommen und wohl fühlen und dass Spanien nicht nur Sonne, Strand, Meer, Paella, Sangria, Tapas und Flamenco bedeutet. Spaniens Kultur und Traditionen sind so vielfältig, spannend und regional unterschiedlich wie die Menschen in diesem wunderschönen Land.

Auf der anderen Seite haben wir hier einen sehr herausfordernden Alltag mit nicht gewohnten Abläufen, teilweise Missverständnissen und manchmal bürokratischen und sprachlichen Barrieren. Auch die Familie und Freunde in Deutschland vermissen wir sehr. Besonders für unsere Tochter Anne war und ist die Trennung von ihren Freunden aus Köngen nicht einfach. Sobald sie ihr Abi im Mai in der Tasche hat, wird sie erst einmal zurück nach Deutschland gehen. Trotzdem fühlen wir uns wohl und stellen uns diesen Herausforderungen.

Einfach ist es auch nicht für unsere Tochter Emma, die in Konstanz studiert und nicht am Wochenende einfach mal nach Hause fahren und sich verwöhnen lassen kann. Umso mehr freuen wir uns auf unser Wiedersehen zu Weihnachten und auf gemeinsame Familienzeit, denn auch unser Sohn Paul kommt angereist.

Die Anschaffung eines echten Weihnachtsbaums ist eine weitere Herausforderung. In unserem ersten Jahr, in dem wir noch auf einen echten Tannenbaum hofften, haben wir in den sauren Apfel gebissen und in einem Gartencenter für fast 100 Euro einen Baum, der in einem dicken Plastikeimer einbetoniert war, gekauft. Im zweiten Jahr konnten wir einen schönen Baum aus Deutschland mitbringen zu einem Viertel des Preises. In diesem Jahr haben wir über Kontakte von einem Familienbauernhof in Dosrius, eine katalanische Stadt in der Provinz Barcelona im Nordosten Spaniens, erfahren, der Tannenbäume und Pinien anbaut aufgrund eines guten Mikroklimas. Da werden wir die Anfahrt von etwa einer Stunde gern in Kauf nehmen und es mit einem Ausflug „ins Grüne“ verbinden.

Wer schon einmal umgezogen ist, weiß, wie wichtig es ist, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Das erfordert im Ausland nicht nur Offenheit, Ausdauer, Geduld und Toleranz, sondern auch gute Sprachkenntnisse und Netzwerkfähigkeiten.

Bereits vor unserem Umzug haben wir beispielsweise mit der deutschen evangelischen und katholischen Kirchengemeinde Kontakt aufgenommen und erhalten seitdem ihre Newsletter. So kommt es auch, dass wir einer „Offenen Einladung“ für ein internationales Chorprojekt gefolgt sind. Für den Festgottesdienst des 100-jährigen Jubiläums der deutschen katholischen Gemeinde in Barcelona wurde aus der brasilianisch-portugiesischen, deutschsprachigen, chinesischen, französischen, italienischen und philippinischen Gemeinde ein internationaler Projektchor gegründet. Die ersten Proben fanden bereits in der St.-Albertus-Magnus-Kirche unter der Leitung von Christina Koch, einer Deutschen, die seit 30 Jahren in Katalonien lebt, statt. Für uns ist es ein besonderes Erlebnis und eine Ehre, am vierten Adventssonntag zusammen mit unterschiedlichen Menschen aus aller Welt internationale Weihnachtslieder singen zu dürfen. Und so erklingt

in der berühmten Basilika Santa Maria del Mar in Barcelona, in der der Festgottesdienst am 18. Dezember abgehalten wird, „Stille Nacht, heilige Nacht“ in zehn verschiedenen Sprachen. Nicht nur die Chormitglieder sind international buntgemischt, sondern auch das Repertoire wie zum Beispiel „Bless the Lord“, „The majesty and glory”, „Si yo no tengo amor“ (spanisch), „Jul, jul, strålande jul“ (schwedisch) und „Bonse Aba“ (afrikanisch).

Die Kathedrale des Meeres „Santa Maria del Mar“ ist eine der schönsten Kirchen der Gotik in Barcelona. Durch eine kurze Bauzeit (1329-1386) weist die Basilika eine große stilistische Geschlossenheit auf, die sich durch ihre Schlichtheit in den Verzierungen auszeichnet.

Neben Kontakten durch das Singen im Chor konnten wir bereits andere Freunde durch Tanzen, Sprachkurs und tolle Nachbarschaft gewinnen. Ein Highlight ist Zumba am Strand unter Palmen, das mehrmals in der Woche ganzjährig angeboten wird. Die Spanier sind generell Meister im Feste organisieren (Umzüge zu Weihnachten, Heilige Drei Könige, Ostern und vielen weiteren Anlässen), Stadtfeste an nahezu jedem Wochenende und viele weitere Aktionen im Strandbereich oder aber auch im Ortszentrum und anderen öffentlichen Plätzen.

Wir sind sehr dankbar, die Unterschiede zu Deutschland, die Lebensweise der Spanier, ihren Gemeinschafts- und Familiensinn kennenzulernen und freuen uns auf weitere Entdeckungen und Erkenntnisse. Und nicht nur das, wir lernen auch, wie uns Menschen aus anderen Ländern sehen beziehungsweise auf Deutschland blicken, das uns in vielen Punkten stolz macht.

 

Bon Nadal aus Katalonien

Iris & Marcus Zimmermann

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