Nürtingen

Über 30 Jahre Kriege und Unruhe im Ostkongo

NÜRTINGEN. In der Kultur-Kantine der Alten Seegrasspinnerei berichtete Biluge Mushegera eindrucksvoll über die Lage im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Die aus Bukavu stammende Referentin zeigte zunächst Bilder vom Kivu-See und den grünen Hügeln zwischen Bukavu und Goma – Landschaften von beeindruckender Schönheit, die im starken Kontrast zur Realität eines Landes stehen, das seit Jahrzehnten von Gewalt, Ausbeutung und politischer Instabilität geprägt ist. Im Mittelpunkt ihres Vortrags stand die Frage, wo der Mensch bleibt, wenn Reichtum, Rohstoffe und internationale wirtschaftliche Interessen über Leben und Tod entscheiden.
Der Kongo, siebenmal so groß wie Deutschland, ist reich an Gold, Coltan, Diamanten und Lithium – doch der Großteil der Bevölkerung lebt in Armut. Seit über 30 Jahren wird der Osten des Landes von bewaffneten Konflikten erschüttert. Einmischungen benachbarter Staaten, internationale Wirtschaftsinteressen, weitverbreitete Korruption im eigenen Land und gescheiterte Friedensabkommen haben die Region zusätzlich destabilisiert. Die Wiederkehr der M23-Rebellen seit 2021 brachte erneut Tod, Vertreibung und Unsicherheit über Nord- und Südkivu.
„Unser Segen ist unser Fluch geworden“, fasste Mushegera die Situation zusammen. Die Rohstoffe, die in Hightech, Batterien und E-Mobilität stecken, bereichern die Welt – aber nicht die Menschen im Kongo. Auch Großprojekte wie Eisenbahnkorridore kämen nicht der Bevölkerung zugute. „Vom Fortschritt profitieren andere“, so Mushegera.
In der anschließenden Diskussion hinterfragten die Zuhörerinnen und Zuhörer ihre eigene Verantwortung. „Wir würden kein Diebesgut kaufen – aber genau das tun wir, wenn wir Produkte nutzen, deren Rohstoffe aus Konfliktgebieten stammen“, stellte ein Teilnehmer fest. Auch politische Fragen wurden thematisiert: Nur eine knappe Mehrheit habe in Deutschland für ein Gesetz zu nachhaltigen Lieferketten gestimmt. „Wir alle profitieren vom Leid der Kongolesen und ihrer politischen Instabilität“, hieß es aus dem Publikum.
Auch die Sicht auf Migration sprach sie an. Während die Flucht junger Menschen aus dem Kongo nach Europa oft kritisch bewertet wird, werben deutsche Agenturen im Kongo gezielt junge Menschen an, um eine Ausbildung im Pflegebereich zu beginnen – obwohl sie eigentlich Medizin im eigenen Land studieren wollten.
Die Veranstaltung, organisiert vom Netzwerk Flüchtlingsarbeit Nürtingen (NFANT) im Rahmen der Friedenswochen, hinterließ bei den Teilnehmenden Nachdenklichkeit, Betroffenheit – und das Bewusstsein, dass hinter Konsum, Schlagzeilen und Rohstoffexporten immer Menschen stehen – und damit unsere Verantwortung für diese Menschen. Ein Abend, der die globale Dimension von Frieden, Verantwortung und Solidarität greifbar machte.

Zur Startseite