Leserbriefe

Der Rückzug ist das schwierigste Manöver

Christoph Traube, NT-Neckarhausen. Zum Artikel „Scholz unterstützt Finnlands Nato-Beitritt“ und zum Kommentar „Wer denkt schon an Krise?“ vom 13. Mai.

Seit dem 9. Mai scheint sich abzuzeichnen, wie Putin seinen Krieg fortführen will: Er spielt auf Zeit und hofft, dass sich eine günstige Gelegenheit für ihn ergibt. Vermutlich ist das von allen schlechten Möglichkeiten, die er hat, die beste: Die Ukrainer könnten irgendwann zermürbt sein und vielleicht passiert ihren Generälen doch noch ein schwerer Fehler.

Vielleicht fällt der Westen, ohne dessen Hilfe die Ukraine kaum lange durchhalten kann, auch wieder zurück in die üblichen Streitereien. Das zeichnet sich schon ab: Ungarn ist gegen einen Ölboykott, die Türkei gegen den Beitritt Finnlands und Schwedens zur NATO und für die Ampel-Regierung in Berlin ist die Situation zumindest eine schwere Belastung.

Außerdem läuft für Putin nicht alles schlecht: Seine Meinungsumfragen haben sich seit Kriegsbeginn verbessert – wie bei früheren Kriegen auch. Außerdem haben der Krieg und die Spekulationen über Sanktionen die Energiepreise explodieren lassen, weshalb Russland, wie alle die Öl und Gas verkaufen, jetzt bessere Preise erzielen dürfte. Militärisch war der Krieg für Russland freilich bisher ein Desaster: Vor Kiew erlitt die russische Armee eine schwere Niederlage, bei Charkiw wurde sie nun ebenfalls praktisch bis zur Grenze zurückgeschlagen und im Osten, im Donbass, zeichnet sich ein Patt ab. Der eigentlich malerische Fluss Donez scheint derzeit für beide Seiten ein unüberwindliches Hindernis zu sein.

Die beiden Alternativen Putins wären entweder den Rückzug anzutreten und einen Waffenstillstand anzubieten oder den Krieg weiter eskalieren zu lassen. Letzteres wäre wohl Wahnsinn: Die russische Armee wird schon mit der Ukraine nicht fertig und der Westen würde noch mehr zusammengeschweißt. Zumal die NATO in Osteuropa inzwischen so stark sein soll, dass sie die russischen Truppen dort in kurzer Zeit vernichten könnte, auch ohne Atomwaffen. Und der Rückzug? Der wäre wohl eigentlich das Klügste, Putin scheint sich das aber politisch nicht leisten zu können. Womit sich wieder einmal bestätigt, dass der Rückzug das schwierigste aller Manöver ist.

Zur Startseite