Weihnachtsgrüße

Unterm selbst gefällten Baum gibt’s selbst geschossenes Reh

Emmi Müllerschön hofft in Idaho auf weiße Weihnachten und wundert sich über so manche Tradition

Zusammen mit ihrer Gastfamilie wird Emmi Müllerschön (Vierte von rechts) in Idaho einmal ganz andere Weihnachten feiern.

Seit fast vier Monaten lebe ich nun schon als Austauschschülerin in Bonners Ferry, einer sehr kleinen Stadt in Idaho, USA. Ein ganzes Schuljahr, insgesamt elf Monate, werde ich hier mit meiner Gastfamilie verbringen und das amerikanische Leben in vollen Zügen genießen.

Bonners Ferry ist nur eine Stunde mit dem Auto von der kanadischen Grenze entfernt, die nächstgrößere Stadt ist aber ganze zwei Stunden weg. Hier geht es wirklich sehr ländlich zu. Manche Leute hier haben nicht einmal Nachbarn oder Anschluss ans Telefon-Netz, weil sie so weit auf dem Land draußen oder abgeschieden im Wald leben. Der Norden Idahos ist bekannt für Rednecks. So werden Leute genannt, die Jagen lieben, Bier trinken, Tabak kauen, Holzfällerhemden tragen, laute Trucks fahren und Gewehre und ihr unabhängiges Leben in der Natur lieben. Das Leben hier in der Kleinstadt und auf dem Land ist so anders, als ich es von Nürtingen gewohnt bin. Es ist anders, aber auch wunderschön hier. Die Berge und Wälder, die an die Rocky Mountains grenzen, sind Lebensraum für Rehe, Hirsche, Berglöwen, Elche, Bären oder auch Truthähne. Ein beliebtes Hobby der Leute hier in der Region ist das Jagen dieser Tiere, um ihre Tiefkühltruhen mit Selbstgeschossenem zu füllen. Den ganzen November hindurch wurde hier gejagt wie verrückt, weil „Open Season“ für Rehe und Hirsche war. Anstatt des üblichen Weihnachtsessens werde ich dieses Jahr also wahrscheinlich selbst geschossenes und verarbeitetes Reh essen.

Nach Thanksgiving Ende November haben hier alle ganz euphorisch angefangen, weihnachtlich zu dekorieren. In unserem Wohnzimmer steht jetzt schon ein selbst gefällter Tannenbaum, den ich gemeinsam mit meiner Gastfamilie geschmückt habe. Jeder Winkel der Wohnzimmer wird mit kitschigem Weihnachtsschmuck vollgestopft. In den nächsten Wochen soll der erste Schnee kommen. Das wären dann endlich mal wieder weiße Weihnachten für mich, ist in Deutschland die letzten Jahre ja leider nicht sehr oft vorgekommen. Manchmal schneit es hier sogar so viel, dass die Schule ausfällt, weil die Schüler nicht zur Schule fahren können.

In der Schule läuft jetzt während dem Unterricht fast ununterbrochen in jeder Klasse nur noch Weihnachtsmusik. Weihnachtsstimmung kommt bei mir trotz allem noch nicht richtig auf, weil mir meine Familie einfach fehlt und die ganze Adventszeit mit den Plätzchen, Weihnachtsmärkten und Lichtern. Es wirkt so, als wären die Leute hier so beschäftigt mit Schule, High-School-Sport und Jagen, dass da auch einfach gar keine Zeit mehr bleibt, die vorweihnachtliche Zeit zu genießen. Weihnachten wird hier erst am ersten Weihnachtsfeiertag gefeiert, also am 25. Dezember. Die Geschenke werden nicht wie bei uns an Heiligabend, sondern am Morgen danach geöffnet. Aber an Heiligabend darf hier eine Tradition nicht fehlen – das Schlafanzug-Geschenke-Auspacken. Eine merkwürdige Tradition. Die Familien hier schenken sich gegenseitig die gleichen Pyjamas und schauen dann Weihnachtsfilme zusammen an und backen gemeinsam Weihnachtsgebäck.

Wieso wir in Deutschland den Stiefel am Nikolaustag rausstellen oder was genau die Adventsonntage sind, kann hier niemand so ganz verstehen. Obwohl mir die deutschen Weihnachts-Traditionen fehlen, freue ich mich auf einmalige amerikanische Weihnachtsfeiertage!

Ich grüße meine Familie und meine Freunde ganz herzlich und wünsche allen frohe (und hoffentlich weiße) Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Emmi Müllerschön

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