Weihnachtsgrüße

Staubiger Mix aus Lebensfreude, lauter Musik, fremdem Essen und extremer Religiosität

Alexandra Bassermann wohnt und unterrichtet 7171 Kilometer von Oberensingen entfernt in Kasoa in Ghana – Weihnachten und Neujahr wird sie allerdings in Kenia verbringen

Alexandra Bassermann unterrichtet eine Klasse in Ghana, muss dabei aber ab und an zu Erziehungsmethoden greiffen, die ihr nicht behagen.

Weihnachtszeit zuhause: Kaltes Wetter, Schneeregen, man verflucht die Kälte, Zeit, die warmen Schuhe rauszukramen und sich in seinen übergroßen Schal zu wickeln. Außerdem: „Last Christmas“ spielt in jedem Einkaufsladen, ob man in der Stimmung ist oder nicht, viel Spekulatius und heiße Schokolade, Joggen in Thermohosen, anschließend heiße Dusche und der ein oder andere Glühwein mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt.

Weihnachtszeit in Ghana: Temperaturen zwischen 30 und 40 Grad, keine Wolken, man verflucht ein ums andere mal die Hitze und wünscht sich, in Deutschland oder zumindest in annähernd kühleren Gefilden weilen zu können – wie beispielsweise in einer Kühlbox. Zeit, wie auch in den Monaten zuvor, seine Birkenstock, die einen selbst hier als Deutsche outen, in Kombination mit kurzen Hosen und Top anzuziehen.

Meine mitgebrachte Jeansjacke erweist sich als völlig nutzlos. Weihnachtsmänner, Rentiere und so weiter sucht man hier vergeblich, da die Ghanaer so religiös sind, dass Weihnachten einzig auf die Geburt Jesus Christus’ reduziert wird. Außerdem: Ghanaische und nigerianische Popmusik in meist grottiger Qualität von fast jedem Straßenstand, viel Ananas und Papaya, Joggen vergisst man aufgrund der Hitze lieber gleich, „Dusche“ mit einem Eimer und einer Schöpfkelle am Abend, da es 85 Prozent der Zeit hier kein fließendes Wasser gibt.

Was mache ich hier, 7171 Kilometer von Oberensingen entfernt, in Kasoa, einer Stadt 30 Kilometer, jedoch dank Verkehr und Straßenverhältnissen zwei Stunden von Ghanas Hauptstadt Accra entfernt? Genau zwei Wochen nach meinem Abiball sagte ich meiner Familie und engen Freunden in München „Good-bye“ und begab mich auf ein Abenteuer in eine mir bisher völlig unbekannte Welt.

Ghana, ein kleines Entwicklungsland in Westafrika, ist in Deutschland mit Ausnahme der Namen Kofi Annan und Jerome Boateng wenig bekannt. Am 16. Juli setzte ich zum zweiten Mal Fuß auf den afrikanischen Kontinent. Dieses Mal jedoch nicht für zwei Wochen Safari, sondern für zehn Monate Freiwilligenarbeit.

Ich lebe hier in einer ghanaischen Gastfamilie, manchmal teile ich mir mein Stockbett auch mit anderen Freiwilligen, die aber nie länger als einen Monat bleiben. Noch in Deutschland war ich überzeugt, in einem Waisenhaus in der Nachbarschaft zu arbeiten, von frühmorgens bis spätnachmittags. Vier Monate später: Ich habe mehrere Schulen und Waisenhäuser ausprobiert, habe sogar in einer Mutter-Kind-Klinik gearbeitet. Meine amerikanische Entsendeorganisation schien nicht bewusst zu sein, wie wenig tatsächlich vor Ort zu tun ist und so habe ich sehr viel Eigeninitiative zeigen müssen, damit meine Tage hier gefüllt sind.

Zum einen werden Freiwillige in den Institutionen meist gar nicht benötigt, es gibt genug Lehrer, die Kinder im Waisenhaus haben sich wunderbar selbst beschäftigt und sind zu meinem Erstaunen in kaum einem Fall echte Waisen. Aus rein ökonomischen Gründen (Spendengelder!) ist gefühlt jedes Kinderheim hier ein anerkanntes Waisenhaus. Den Kürzeren ziehen die Freiwilligen, die kaum etwas zu tun haben. Trotz all dieser kleinen Komplikationen bin ich hier sehr glücklich: Im Moment arbeite ich von 7.20 bis 12.30 Uhr oder später in einer Schule etwa 20 Minuten entfernt und unterrichte mit einem anderen Freiwilligen zusammen die KG2, vergleichbar mit unserer ersten Klasse.

Man steht hier vor Problemen im Klassenzimmer, die man sich in Deutschland nie vorstellen könnte: Da die Kinder hier fast ausnahmslos für jedes noch so kleines Fehlverhalten von den Lehrern teils mit Rohrstock geschlagen werden, kamen wir mit unserer „laschen“ Erziehungsweise kaum gegen die Kinder an. Das hat sich mittlerweile gebessert, obwohl wir noch immer von Methoden wie „In die Ecke stellen“ Gebrauch machen müssen. Aber immerhin besser als schlagen.

Insgesamt ist das Leben und die Kultur hier nicht mit dem Leben in Deutschland zu vergleichen: Die Menschen hier sind sehr aufgeschlossen und interessiert an einem (liegt aber auch daran, dass ich die einzige Weiße im Umkreis bin und von manchen als Bankkonto auf Beinen angesehen werde), bei den Männern ist das aber oft echt zu aufdringlich. Mittlerweile habe ich aufgehört, Heiratsanträge zu zählen.

Das Leben hier ist viel infacher: Mit dem Eimer duschen, Wäsche mit der Hand waschen, kein WLAN, größtenteils ungeteerte Straßen mit gefährlich tiefen Schlaglöchern, gern auch mal sechs Wochen kein fließendes Wasser und mehrstündige Stromausfälle.

Der öffentliche Nahverkehr wird zu 90 Prozent aus sogenannten Trotros dominiert, meist aus Deutschland oder den Niederlanden gespendeten Sprintern, die (ungeteerte) Straßen entlangfahren und gleichzeitig versuchen, Schlaglöchern, Ziegen, Kuhherden und Menschen auszuweichen.

Diese werden dann bis zum Anschlag mit Ghanaern und der schwitzenden 17jährigen Weißen gefüllt, die die Passagiere auf Nachfrage dann gern mal mit ihren minimalen Kenntnissen der hier vorherrschenden Sprache, Twi, unterhält. Lohnt sich! Zweimal wurde mir daraufhin das Fahrtgeld erlassen.

Ghana ist ein staubiger Mix aus Lebensfreude, extremer Religiosität, schallender Musik, fremden Essen (gebt bei Google doch mal Fufu, Banku und Kenkey ein), schlechtem Schul- und Straßensystem, teils atemberaubender Natur und sicher kein Land für jeden. Die Armut hier ist an manchen Stellen doch sehr prominent, jedoch fällt einem auf, dass die Menschen hier so viel glücklicher sind mit dem wenigen, das sie haben, als wir zuhause mit unserem vollen Kühlschrank und dem Flatscreen-TV. Gerade das habe ich aus meiner Zeit hier mitgenommen: Dankbar zu sein für die kleinen Dinge im Leben. Wenn das Wasser gerade läuft, um einmal nach sechs Wochen wieder eine richtige (kalte) Dusche zu nehmen und sich nicht darüber aufzuregen, wenn es zwei Stunden später wieder versiegt ist und man die nächsten Wochen wieder volle Eimer für die Toilettenspülung ins Haus tragen muss.

Nach meiner doch sehr eindrücklichen Zeit hier werde ich Weihnachten, Neujahr und die kommenden Monate mit meinem Freund in Kenia verbringen. Vermutlich Ende April werde ich dann wieder in schwäbischen Gefilden weilen. Aber so oft, wie sich hier Pläne ändern, neue Möglichkeiten entstehen und Türen geschlossen wer-den, kann ich nichts mit Bestimmtheit sagen.

Ich hoffe, ihr habt einen kleinen Eindruck von meinem Leben hier bekommen. Falls ihr euch darüber hinaus für meine Aktivitäten, Reisen und so weiter durch Ghana interessiert, mein Blog www.alexofftoafrica.wordpress.com sollte einen recht breiten Überblick mit vielen, vielen Bildern geben können.

Ich wünsche euch allen ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch!

Alles Liebe aus Ghana,

Alex Bassermann

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