Weihnachtsgrüße

Nach Weihnachten heißt es Abschied nehmen

Clara Sievering hat auf ihrer Reise durch Australien schon viel erlebt – Auch dort wird sie Weihnachten als Familienfest feiern

Nach Australien fliegt Clara Sievering nach Neuseeland.

„An Weihnachten gehen wir essen.“ „So richtig?“, frage ich. „So richtig. Mit Getränkebestellen“, antwortet mein bester Freund Simon. Ich nicke, trinke einen Schluck Wein und wende meinen Blick wieder nach vorne. Wir sitzen im Schneidersitz in irgendeinem Park, Blick aufs Sydney Opera House und die Harbour Bridge. Ich weiß noch nicht, was ich an Weihnachten mache. Vor ein paar Tagen hätte ich es noch gewusst. Ich hätte einem Zweijährigen dabei geholfen, sein 101. Paar Nikes auszupacken. Einem Zweijährigen, der zwar keine Gummistiefel besitzt, aber einen Regenmantel, der einen Monat Backpackerleben finanzieren könnte, aber nicht wasserfest ist. Aus diesem Kind wird ein Erwachsener werden, der nie in seinem Leben im Schlamm gespielt hat, wenn man das eine Mal, in dem ich ihn demonstrativ in ein kleines Matschloch gesetzt habe, mal außen vor lässt. Ein Zweijähriger, auf den ich dreizehn Stunden am Tag aufgepasst habe, auf dessen Geburtstag ich aber nicht eingeladen war. Ja, ich habe gekündigt, worüber ich auch sehr froh bin, aber die Kündigung wirft nun mal die „Was mache ich an Weihnachten?“-Frage auf. Ich habe mal einen Artikel gelesen, in dem es hieß, man solle mindestens einmal in seinem Leben bewusst alleine Weihnachten feiern. Ich sehr gesprächiges Rudeltier habe zwar durchaus das Backpacken alleine für mich entdeckt, als ich für zwei Monate die Ostküste Australiens entlang gecouchsurft (jedem zu empfehlen, unglaublich abenteuerlich) bin, aber ob man denn alleine Weihnachten gefeiert haben muss, keine Ahnung. Ich persönlich muss das nicht haben, glaube ich. Die Unterhaltung mit Simon ist jetzt schon einige Wochen her und inzwischen kümmere ich mich um vier Kinder im wunderschönen Melbourne, das ich eigentlich gar nicht mehr verlassen will. Leider wird Weihnachten aber dann der Abschied von meiner Gastfamilie, bevor es über Silvester für mich nach Sydney geht und von dort aus dann nach Neuseeland, wo ich für sechs Wochen mit einer Freundin backpacken werde. Auch wenn ich traurig sein werde, meine Gastfamilie zu verlassen, ist der Zeitpunkt ein guter, Weihnachten wird damit auch dieses Jahr für mich ein Familienfest sein. Thomas, mein Bruder, beklagt sich häufig darüber, dass ich Weihnachten nicht da sein werde. Schon witzig, weder Thomas noch ich könnten von uns behaupten, sonderlich religiös zu sein, sollten wir denn überhaupt religiös sein. Tradition hat Weihnachten für uns, aber was bedeutet in unserem Alter schon Tradition. Papa holt den Baum. Thomas und ich bauen die Krippe auf und schmücken den Baum. Mama holt den Truthahn, den eigentlich keiner mag. Und dann wird gestritten, weil der Harmonieanspruch zu hoch ist. Tja, Weihnachten ist Stress, aber Hauptsache, Heintje dudelt im Hintergrund. Bis zum abendlichen obligatorischen Singen haben sich alle wieder beruhigt. Wir kriegen ein Pixi-Buch mit Liedtexten, die wir ohnehin können, in die Hand gedrückt, Thomas spielt Klavier. Schön klingt das Ganze nicht, aber irgendwie ist es schön. Und dann gibt es Geschenke, bei denen meine Familie echt unkreativ ist, einerseits glücklicherweise (Reisegeld), andererseits unglücklicherweise (Unterhosen und Socken kann man immer gebrauchen?). Eventuell folgt Kirche mit Renate. Und dieses Jahr wird das eben für mich nicht so sein, auch wenn ich noch nicht ganz genau weiß, wie es denn sein wird. Wie man sicherlich aus den umstehenden Artikeln bereits entnehmen konnte, „kommt bei 35 Grad am Strand nämlich keine Weihnachtsstimmung auf“. Wobei man Melbourne zugestehen muss, sich mit überlebensgroßen Nussknackern, Musik und Lichterketten, größte Mühe zu geben. Vielleicht ist Weihnachten für mich aber auch viel mehr ein Gefühl als eine Stimmung. Das Gefühl, an einem Ort zu Hause zu sein, das Gefühl von Beständigkeit, das die Gewissheit mit sich bringt, dass auch dieses Jahr wieder zu Heintje gezankt wird, dass man wieder eine hässliche Unterhose von Oma kriegt und es wahrscheinlich auch gar nicht anders haben möchte. Und eben dieses Weihnachtsgefühl werde ich trotzdem haben. Ich bin zwar an einem Ort, an dem ich für die Kinder so tun müsste, als gäbe es einen Weihnachtsmann, an dem die größte Weihnachtsstimmung bei Starbucks mit einem Gingerbreadlatte aufkommt, und an dem auch sonst alles anders ist als zu Hause, aber dieser Ort ist trotzdem ein Zuhause und auch mein Zuhause. Mein zweites eben. Und die Gewissheit, dass alles mehr oder weniger so abläuft wie sonst, habe ich ja auch. Nächstes Jahr zoffe ich auch wieder mit. Seid alle lieb gegrüßt.

Übrigens: Wer mitlesen mag, was ich ansonsten so alles erlebe, guckt einfach auf meinem Blog clarauntendrunter.tumblr.com vorbei.

Eure Clara Sievering

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