Licht der Hoffnung

Verschwinde, Dunkelheit!

Licht der Hoffnung: „Weihnukka“ in der Nürtinger Versöhnungskirche erreichte die Tiefen der Seele

Jetzt geht die Post ab: ob getragen, ob ausgelassen, das Orchester Shlomo Geistreich war klasse.

Kann etwas beklemmend, verstörend, aufwühlend und fröhlich zugleich sein? Kann man einen Widerspruch an sich feiern? Wer vorgestern Abend beim zweiten Konzert des Festivals der Hoffnung dabei war, der wird beide Fragen sicher mit dem Brustton der Überzeugung beantworten: Ja!

NÜRTINGEN. Gerade, weil er mit allen Klischees brach, weil er das Trennende nicht verschwieg, aber zugleich das Verbindende spüren ließ. Auch, weil bei der „Jiddischen Weihnacht“ (eigentlich ein Widerspruch in sich) nicht mit erhobenem Zeigefinger agiert wurde. Weil bei allem Schlimmen, das da zur Sprache kam, sich dennoch niemand schuldig fühlen musste, sondern das jeweilige Entsetzen, die jeweilige Ratlosigkeit, warum das passieren konnte (oder wie ein gläubiger Mensch fragt: Warum Gott so eine Barbarei zulassen konnte) Gemeinschaft stiftete.

Auch wenn die heute Lebenden wohl darauf keine Antwort finden können, die über Plattitüden von Historikern, Politologen und Journalisten, die zuweilen alles zugleich sind, hinausgeht, erreichte dieser Abend die Tiefe der Seele. Oder vielleicht gerade deswegen.

Immer wieder ist man zutiefst im Innersten erschüttert, wird im Herzen durchgeschüttelt, ist den Tränen nahe. Man hätte im ersten Teil zwischen Texten und Liedern eine Stecknadel fallen hören können, kaum ein Atemzug regte sich, manchmal fragte man sich, ob man es sich überhaupt erlauben kann, Beifall zu klatschen. Es konnte einem ab und an schon bang ums Herz werden.

Freilich: Zugleich ist dieses Programm ein Manifest gegen die Angst. Weil es einen zwar auch, aber nicht nur in Abgründe blicken lässt. Sondern in jedem Takt, in jedem Ton die Erinnerung daran wachhält, dass es eben auch andere Zeiten gab. Und deswegen die Chance besteht, dass auch wieder andere Zeiten kommen.

Wie Nirit Sommerfeld ihren Großvater Julius mit Worten streichelte, obwohl der im KZ umgebracht wurde und sie ihn nie gesehen hat, wie sie erleben ließ, dass es allem Nazi-Wahnsinn zum Trotz sehr wohl möglich war und ist, gläubige Jüdin und deutsche Patriotin zu sein, das ging unter die Haut.

Zudem: Sie selbst sagt von sich, sie sei in erster Linie Schauspielerin und erst dann Sängerin. Freilich: Man kann sich nicht vorstellen, dass jemand „Maria durch ein Dornwald ging“ inniger singen könnte als sie. Oder: „A child ist born“, in das sie all ihre mütterliche Liebe hineinlegte. Ein Mann hätte das nie und nimmer so interpretieren können.

Einfach fantastische Künstler: Nirit Sommerfeld und Martin Umbach bei der „Jiddischen Weihnacht“ in der Nürtinger Versöhnungskirche. Fotos: Jüptner (3)

Einfach fantastisch war auch das Orchester Shlomo Geistreich. So einen Spagat, der einem den Atem raubt, der von tiefer Traurigkeit zu fast exzessiver Fröhlichkeit reicht, so hinzubekommen – das ist im Grunde unglaublich.

Bliebe noch der Lokalmatador: Martin Umbach. In der Kirche, in der er konfirmiert wurde, blühte sein Können in den strahlendsten Farben. Es war regelrecht überwältigend, zu erleben, wie er aus Buchstaben Leben machte, wie er von einer Rolle in die nächste schlüpfte und dabei vor allem eins blieb: authentisch. Der Rabbi aus New York oder der deutsche Täter, der das „Jesuskind von Ostrowice“ mit auf dem Gewissen hatte – beide interpretierte er nicht nur, beide war er.

Martin Umbach war zu Gast in der alten Heimat. Oft ist das eine Floskel. Aber bei ihm war in jeder Sekunde klar: Da ist er tatsächlich daheim. Da ist er zu Hause. Obwohl er gute und schlechte Erfahrungen da hatte. Oder deswegen.

Für den roten Faden sorgten er und Nirit Sommerfeld gemeinsam: „Jeder von uns ist nur ein kleines Licht. Aber gemeinsam sind wir ein großer Lichtschein.“ Deswegen riss einen ja auch ein Lied vielleicht ganz besonders mit: „Verschwinde, Dunkelheit!“ Und plötzlich wurde es „Weihnukka“, spielte es keine Rolle mehr, ob nun Weihnachten oder Chanukka gefeiert wird. Hauptsache: Man feiert. Und man kann gemeinsam feiern. Und: Das geht!

Vor 101 Jahren war der Nürtinger Otto Umfrid für den Friedensnobelpreis nominiert. Sein Lieblingslied war „Sonne der Gerechtigkeit“. Darin heißt es: „Tu der Völker Türen auf / Deines Himmelreiches Lauf / hemme keine List noch Macht. / Schaffe Licht in dunkler Nacht. /Erbarm Dich, Herr!“

Genau dies war die Botschaft dieses Abends.

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