Licht der Hoffnung

Die Anbetung der Liebe

Licht der Hoffnung: Christa Platzer und Band machten die Hommage an Edith Piaf in Unterensingen zum berührenden Erlebnis

„Je ne regrette rien“: Christa Platzer und Band gestalteten ein bewegendes Unterensinger Dreikönigskonzert. Foto: Gauß

100 wäre sie dieses Jahr geworden. Sie hat nicht mal die Hälfte davon geschafft. Aber dennoch (oder deswegen?) ist der „Spatz von Paris“ unsterblich geblieben. Die Lieder und das Leben von Edith Piaf rissen auf jeden Fall das Publikum beim Unterensinger Dreikönigskonzert mit. Christa Platzer und ihre Band sorgten mit einer regelrecht berührenden Inszenierung dafür.

UNTERENSINGEN. Das neue Jahr war zwar erst sechs Tage alt, aber eins steht schon jetzt fest: Das Gastspiel der Opernsängerin aus Gelsenkirchen und ihrer kongenialen Begleiter aus Weimar im Udeon gehört zu den absoluten kulturellen Glanzlichtern 2015 in Nürtingen und seinem Umland. Möglich gemacht hatte die fünfte Veranstaltung des Festivals der Hoffnung die Nürtinger Firma Zinco.

Was für eine Intensität! Was für eine Tragik! Was für ein Glück (ja, auch das gab es ab und zu)! Was für ein Leben! Mehr Tiefen als Höhen, mehr Zweifel als Gewissheit, mehr Scheitern als Gelingen, mehr Suchen als Finden, mehr Durchhaltenmüssen als Sichfallenlassenkönnen. Mehr ausgenutzt werden statt echte Wertschätzung zu genießen: Diesen Dialog des Lebens und der Leidenschaften führte der „Spatz von Paris“ vielleicht stellvertretend für ihr Publikum. Damit ließe sich ja eventuell auch erklären, warum der einen oder dem anderen im Udeon immer mal wieder eine Träne übers Gesicht rann.

Moralapostel hatten am wilden, ja exzessiven Leben der Piaf wohl sicher keine Freude. Aber von ihrem Publikum hat ihr das keine oder keiner je übel genommen. Vielleicht weil sie stets authentisch blieb, das, was in jedem Menschen steckt und vielleicht jeder kennt, wie in einem Brennglas focussierte: die Träume, die Hoffnungen, die Niederlagen, die Exzesse, das Gemochtwerdenwollen, die Enttäuschungen, das Hinfallen und immer wieder Aufstehen (müssen).

Ihr Leben sei „die Anbetung der Liebe“ gewesen, sagte sie einmal selbst. Die Sehnsucht nach Liebe war der Urgrund ihrer Kraft und ihrer Selbstzerstörung. Ihr ordnete sie alles unter, auch und gerade sich selbst.

All das könnte man natürlich auch in einem guten Buch lesen. Aber dank Christa Platzer konnte man dies nicht nur beobachten und interessiert zur Kenntnis nehmen, man erlebte es mit, ja man lebte es mit.

Mehr als nur ein Konzert: nicht nur Inhalt, sondern auch eine Botschaft

Wie die begnadete Sängerin es bei diesem literarischen Konzert schafft, einen förmlich gefangen zu nehmen, in zwei Stunden den Alterungs- und Verfallsprozess der Grande Dame des Chansons vor Augen zu führen, während gleichzeitig der Gesang seine alte Faszination behielt – das war eine ganz große Leistung. Edith Piafs Körper und Seele mögen gebrochen, ja zerbrochen gewesen sein – der Kraft ihrer Stimme und ihrer Lieder konnte das nichts anhaben.

Berührend, ja bewegend war es, dank Christa Platzer mitverfolgen zu können, wie die hübsche junge Frau zum Wrack wurde, wie sie sich schwer vom Rheuma und Drogen gezeichnet, auf die Bühne schleppte, aber dennoch die Herzen ihres Publikums begeisterte. Wer Originalvideos von Edith Piaf gesehen hat, der weiß: Bei Christa Platzer stimmte selbst bei Gestik und Mimik alles bis aufs letzte Detail. Sie spielte nicht Edith Piaf. Sie war Edith Piaf. Und bei jedem Auftritt mit dieser Hommage ist sie es immer wieder.

Ihren Anteil, daran, dass dieser Abend sicher noch lange unvergesslich bleiben wird, hatte aber auch das Quartett im Hintergrund, bei dem man ebenfalls den Eindruck hatte, als hätten sie noch mit und für den „Spatz von Paris“ gespielt: Dirk Sobe brillierte nicht nur am Klavier, sondern hatte auch die einfühlsamen Arrangements geschrieben, Oliver Räumelt stand großen französischen Akkordeon-Künstlern in nichts nach, und Christian Bergmann und Jürgen Schneider stellten unter Beweis, dass man auch bei eher ruhigen Melodien durchaus rhythmische Akzente zu setzen vermag.

Diese Hommage an Edith Piaf ist ein Gesamtkunstwerk. Eben mehr als nur ein Konzert. Sie hat nicht nur einen Inhalt, sondern auch eine Botschaft: So chaotisch ein Leben verlaufen (sein) mag – es hat sich gerundet, wenn man am Ende sagen kann: „Je ne regrette rien – ich bereue nichts.“

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