Leserbriefe

Machen Kleider wirklich Leute?

Helmut Weber, Aichtal-Neuenhaus. Zum Artikel „Wen juckt’s“ vom 14. Juni. Seitdem der Mensch das Gegenüber, die Spiegelung und damit sein Äußeres für sich entdeckt hat und Gruppierungen oder Zivilisationen damit Orientierung schaffen, ist es Thema, ist es Ab- und Ausgrenzung sowie Identifikation. In einer Gesellschaft erwartet der Einzelne innerhalb seiner Gruppe Zugehörigkeitszeichen – also auch in Bezug auf Kleidung.

Wenn also ein Bundestrainer als exponierter Einzelbürger auftritt, hat das in Bezug auf Ort und Geschehen eine Allgemeinkenntnisnahme zur Folge und damit eine Vielfalt an Akzeptanz oder Ablehnung. Immerhin kann das Ansehen eines Mitmenschen diese bewertende Einordnung brechen oder zumindest einschränken – also der wichtig gesehenen „Oberflächlichkeit“ den Rang unterlaufen.

Frauen und Männer, die sich bekannterweise unterschiedlich zu Männern und Frauen orientieren, selektieren stirnwändig mit anderen Mitteilungsbeauftragten. So kann es sein, dass die Schweißflecken auf einem T-Shirt oder der behaarte Bauch eines Trainers, die bei einem Europaspiel in Erscheinung traten, dem Zuschauer so was von wurst sind, der Zuschauerin hingegen ein Stirnrunzeln abringen. Beide sehen sich im Recht.

Wer das Äußere dieses Trainers regelmäßig zur Kenntnis nahm, könnte aber auch auf den Gedanken kommen, dass hinter diesem Outfit keine Absicht, kein Gedanke stand, sondern nur die Selbstvergessenheit (sich selbst vergessen!), die absolute Konzentration auf das Wesentliche – nämlich das Spiel, seine Vorbereitung und damit der versäumte Kleiderwechsel – kennt jeder von sich selbst, solche Ausschlussgründe von Perfektion.

Entsprechend dem Volkssaufschrei in Sachen Löw werde ich wieder einmal den Verdacht nicht los, dass Kleidung inzwischen nicht nur repräsentativ und Schutz ist, sondern zwanghaft dominante undemokratische Vorgabepflicht für hochgelobten Anschein, gewachsenes Diktat einer neobarocken Gesellschaft mit Täuschungsbereitschaft und Dekadenzgewich.

Dann nähme Äußeres einen unerfreulichen Stellenwert ein und tatsächliche Oberflächlichkeit generiert (in einer nur scheinbar hochentwickelten Gesellschaft) mit allen Parallelerscheinungen nicht gerechtfertigte Wertschöpfungen und eine Moral, die nichts wert ist.

Zur Startseite