Leserbriefe

Jede Debatte stellt Risiken nach vorne

Hosam el Miniawy, Nürtingen. Zum Artikel „Warum wird kein neuer Wirt gesucht?“ vom 20. Januar. Ich habe eine andere Frage: Warum ist Nürtingen nicht attraktiv? Einwohnerzahlen sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen, 2011 bei der OB-Wahl fand sich kein chancenreicher Kandidat gegen Herrn Heirich und diese Woche wirft symbolisch für viele Gewerbetreibende und Gastronomen in Nürtingen Herr Ruthenberg den Bettel hin. Schafft sich hier eine Stadt systematisch ab? Wenn ja, warum und wie lässt sich das stoppen? Bei den Themen der letzten Jahre vor Ort, egal ob Großer Forst, Biogasanlage, FKN und beim möglichen Biergarten, werden Parallelen deutlich. Erstens: Diskussionen werden nicht sachlich geführt, sondern emotionalisiert. „Empört“, „obszön“ und „politische Unkultur“ sind nur wenige der Begriffe, die hier genutzt werden.

Zweitens: Entscheidungen werden nicht akzeptiert, sondern ständig erneut auf den Prüfstand gestellt. Der Große Forst darf nicht Gewerbegebiet sein, der OB ist doch gar nicht richtig gewählt und der Biergarten wird so oft neu ausgeschrieben, bis das gewünschte Ergebnis herauskommt.

Drittens: Misstrauen steht vor Vertrauen und Risiken vor Chancen. Im Gemeinderat und Rathaus wird sich erst einmal misstraut und jede Debatte stellt Risiken nach vorne. Wie weit würden wir aber in unserem privaten und beruflichen Leben kommen, wenn wir jedem erst einmal misstrauen? Man muss auch mal bei null anfangen können, oder die jeweiligen Protagonisten müssen wirklich ihr Heil an anderer Stelle suchen. Auch muss es nach demokratischer Debatte und Entscheidung für die vermeintlich Unterlegenen möglich sein, die Vorteile eines Projekts zu sehen, statt weiter alles madig zu machen.

Viertens: Es gibt null Fehlertoleranz. Jeder Mensch kann und soll aber auch Fehler machen. Wer nichts macht, der macht auch nichts falsch. Wichtig ist, ob wir aus unseren Fehlern lernen oder ob wir nur skandalisieren. Ja, OB Heirich macht Fehler, aber er ist der geeignetste unter den ehemaligen Kandidaten und demokratisch gewählt. Ja, auch Herr Ruthenberg hat Fehler gemacht, aber er hat mit Transparenz, Kreativität, viel Energie und als gewählter Gastronom den Biergarten umgesetzt. Einige in unserer Stadt müssen lernen, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren, Fehler sachlich und demokratisch anzusprechen. Wenn wir das alles nicht angehen, dann bleibt Nürtingen, wie es jetzt ist. Eine gelähmte Stadt.

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